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2024: AN DER BASSENA

Seit dem 1. Januar 2016 führe ich ein öffentliches Tagebuch, das in jedem Jahr unter einem wechselnden Titel erscheint. In diesem Jahr lautet das Motto «An der Bassena». Tagebucheinträge aus den Jahren 2021, 2022 und aus dem vergangenen 2023 sind hier auf der Seite archiviert; die aus allen vorangegangenen finden sich bei waahr.de

28.02.

Tage später war Mango so stark angeschwollen, dass sie sich kaum noch bewegen konnte. So lange die Sonne schien, hatte es 30 Grad, nachts kühlte es nur unwesentlich ab. Die Katze lag auf den Brettern des Fußbodens im Luftstrom des Ventilators und schaute vor sich hin. Zu erschöpft, um einzuschlafen. In ihr war tatsächlich viel los. Man kennt’s.

In älterer Literatur heißt es bei solchem Anblick, er sei «zum Gotterbarmen». Um irgendetwas zur Erleichterung beizutragen, suchte ich ein Album mit dem Titel Music For Cats heraus. Insbesondere das Stück «Calm Your Cat Down: Alpha Binaural Beats, Music With A Wide Frequency Spectrum» von Torsten Abrolat schien es ihr angetan zu haben. Manchmal gingen wir aus und kamen erst vier Stunden später wieder. Dann lag Mango noch immer vor dem Telefon und schaute vor sich hin. Am Morgen, wenn ich das Abspielen startete, beeilte sie sich im Rahmen ihrer geschwollenen Möglichkeiten, um nah vor den winzigen Lautsprechern an der gläsernen Scheibe des Gerätes lagern zu können.

Diese Präferenz für das Stück war bemerkenswert, da auf Jamaika, wie man sich leicht vorstellen mag, von überall her Musik herangeweht kommt — teils auch leider. Aber die speziell für das Katzenohr produzierten Klänge waren anscheinend besonders.

Die Geburt haben wir dann um nur wenige Stunden verpasst. Wie uns später mitgeteilt worden war, geschah sie noch am Tag unserer Abreise um die Mittagsstunde. Oder trug sich zu. Das war einerseits natürlich schade, dann wiederum auch nicht, denn Krankheiten — und ich zähle eine Schwangerschaft durchaus dazu — sind sonderbare Reisen, die man miteinander durchmachen muss. Oder sollte.

Und einen großen Teil des Weges hatten wir mit Mango gemeinsam hinter uns gebracht.

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27.2.

Nach durchlittener Krankheit erkennt man sein Leben in verändertem Licht. Neu ist es nicht unbedingt, doch tritt mitunter Vetrautes, Bekanntes in anderer Bedeutsamkeit hervor. So auch die Sache mit Mango.

Mit uns war eine Katze in dieses Heim auf dem Hügel eingezogen. Schwanger. Gleich bei unserem ersten Zusammentreffen dachte ich, ihre Niederkunft steht bald bevor. Keine Sache von Dauer. Das war mein Gefühl.

Und wir nannten sie Mango. Das Schauspiel des Lebens auf einem bewaldeten Hügel hoch über einem jamaikanischen Hafenstädtchen ist alles andere als öde aber manches Mal fühlt man sich müde vom Schauen und auch vom Beobachten. Also malten wir auf einen Teil der Fassade unseres Holzhäuschens mit herumliegenden Wasserfarben ein Bild. Die schwangere Katze war dort bald zu sehen, liegend, dämmernd, wie sie auch hinter dieser Fassade die meiste Zeit der Tage und Nächte zu finden war. Nachts schlief sie stundenlang zwischen uns, verschwand dann für einige Zeit, um ihrer Arbeit nachzugehen, draußen, im vom Schnarren der Lizards wie sich selbst absägenden Finsterwald; um dann aber pünktlich zu jedem Tagesanbruch wieder vor den drei übereinander gestapelten Bierkisten, auf denen unser Kühlschrank aufgebockt war, zu lagern; um dort ihr Frühstück zu erwarten.

Einmal verschluckte sie einen Croaking Lizard mit Stumpf und Ringelschwanz. Wir kauften ihr dosenweise Katzenfutter der Sorte Paté in einem Shop für landwirtschaftliches Gerät nebst angegliederter Samenhandlung (Grünkohl, Rübchen, Zwiebeln, Karotten).

Manchmal wurde von Kuba oder Haiti, vielleicht auch vom etwas weiter entfernten Florida etwas Internet zu uns herüber geweht. Dann las ich Texte über die Katzengeburt.

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22.02.

Ich habe Reptilien, Schlangen vor allem, schon immer beneidet für ihre Möglichkeit, sich ihre abgestreifte Haut von nahem anzuschauen. Auf dem Grat der Krankheit, wenn sich ein Gefühl der Besserung zeigt, schaut man nicht zurück.

Auf Jamaika, zumindest behauptete das ein Uber-Fahrer, gibt es keine Schlangen. Das dort vorherrschende Reptil ist das Croaking Lizard (Aristelliger praesignis, eine Art Gecko, der nach Sonnenuntergang seine Stimme ertönen lässt. Ein Schnarren, das, je nach Aufenthaltsort, je waldiger der ist, umso lauter wirkt.

Am schönsten Ort auf unserer Reise, einem Hafenstädtchen im Nordosten der Insel, lebten wir am Ende einer Sackgasse und von dort aus, vom Vorgarten einer Pflanzersvilla, die neuerdings mit Autolack in zuckrigen Pastellfarben angemalt als «The Royal» firmierte, betrachtet, ungeheuer oben auf dem steilen Hügel des Mango Ridge, der komplett von Bäumen und Sträuchern aller Art begrünt und vor allem beschattet wurde.

Work Of Love, seines Lebens wohl auch, eines wunderlichen Amerikaners, der dort vor vierzig oder dreißig Jahren sich festgesetzt hatte. Überall in dem Dickicht seines Waldes hatte er nach und nach zierliche Hütten auf Stelzen errichtet, komplett mit Kühlschrank, Badekammern und Ventilatoren, von deren Balkons aus man den Blick über die gesamte Bucht in sich aufnehmen konnte als ein sich graduell eindunkelndes oder aufhellendes Bild.

Auf Reisen, gerade wenn es dort heiß ist, begnügt man sich ja liebend gern mit den simplen Freuden.

Nachts schnarrten die Echsen. Hier wurde ich wieder gesund.

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20.02

Im weiteren Verlauf des Silvesterabends wurde ich sehr krank. Das schreibt man so hin. Ich nicht.

Eine zunächst harmlos wirkende Infektion vom Weihnachtsgottesdienst, die ich anfänglich für Schnupfen, dann für Corona gehalten hatte, eskalierte binnen zwei Stunden. Noch während des Fischfondues rief mich meine Uhr an und meldete Herzrasen. In den folgenden Stunden bekam ich drastische Atemnot und diese verschlimmerte sich über die kommenden Tage, wobei es mir tagsüber, so lange nur die Sonne noch schien, etwas besser erging.

Nachts fürchtete ich zu ersticken. Auch das schreibt man so hin, aber es war wirklich so. Atmen konnte ich nur noch im Stehen oder im Sitzen. Sobald ich mich hinzulegen versuchte, bekam ich das Panik auslösende Gefühl, dass meine Lunge zu klein war, um noch ausreichend Sauerstoff herbeiholen zu können.

Anfänglich nur ein Mal in der Nacht, bald andauernd war ich nahe dran, den Notarzt zu rufen. Warum nicht, das kann ich heute noch schwerer beschreiben als damals. Denn ich habe ja überlebt. Und irgendwie war meine Hoffnung auch damals noch diese gewesen: so schlimm wird es doch noch nicht sein.

Aufgrund eine der üblichen Pannen — etwas mit Übertragungen und Computern — dauerte es zwei Tage länger als versprochen, bis mir endlich die Medikamentation verschrieben werden konnte, die mich letztendlich dann rasch gesunden ließ.

So rasch, dass es mir schon beinahe wieder lächerlich vorkommen wollte, wie nah dem Tode ich mich noch einen Tag vorher gewähnt hatte.

Aber eben nur beinahe. Denn die Erfahrung, wie «von jetzt auf nachher» sich das ganze, im Glück geglaubte Leben in einen langen grauen Traum verwandeln kann, die war mir noch immer gegenwärtig. Und sie ist es auch immer noch.

Vom Elect zum Praeteriten in Augenblicken. Ein paar Tage später reisten wir nach Jamaika ab.

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