Zum Inhalt springen

2024: AN DER BASSENA

Seit dem 1. Januar 2016 führe ich ein öffentliches Tagebuch, das in jedem Jahr unter einem wechselnden Titel erscheint. In diesem Jahr lautet das Motto «An der Bassena». Tagebucheinträge aus den Jahren 2021, 2022 und aus dem vergangenen 2023 sind hier auf der Seite archiviert; die aus allen vorangegangenen finden sich bei waahr.de

24.04.

Für das Auge ist die Tafel nun so reich gedeckt wie niemehr im Jahr (wenn man auf Blüten steht). An dem Platz, an dem ich schreibe, ragt ein Fliederzweig aus seiner Vase und das Studium der Mannigfaltigkeit, auch tonal, farblich, rhythmisiert meinen Tag.

Die Natur, personifiziert in der Landschaft gibt und gibt, alles, gerade so, als wäre nichts. Für mich das Vorbild, mein Idol.

Kein anderer Künstler, den ich kenne.

In diesem Bild stören mich allein die Menschen, letzten Endes auch ich mich selbst. Weniger an mir als über mich.

Oder so.

Kant soll Linkshänder gewesen sein. Der Bundepräsident fliegt eine Fleischrübe nach Istanbul. Der Büroleiter des Bundeskanzlers ist ein russischer Spion.

I Couldn’t care less (My Name’s Veronika).

Weiterlesen

20.02.

Am sogenannten Record Store Day mit Bastian in Neukölln, wo, zur Feier des Tages, der Rough-Trade-Superstore eröffnet ward.

Das silbrige Glöcklein der Gentrifizierung tönt hier, visavis der Rollbergstraße und dem durch sie erschlossenen Rollbergkiez, besonders hell — nicht erst seit Rough Trade; auch schon seitdem an dieser Kreuzung eine Filiale des Künstlerbedarfshändlers Boesner eröffnet wurde.

In dem Schallplattenladen, der verblüffend großflächig geraten ist, hatten sich zur Blauen Stunde Hunderte um eine dort fest installierte Bar eingefunden. Ein sonst selten in dieser Konzentration zu beschauender Prunk des alternden Mannes, vermutlich an AA Bronson geschult, der sich in Stetson-Truckercaps, Tom-Ford-Hornbrillen und bodenlangen Steppmänteln in den sprichwörtlichen Bonbonfarben formulieren lässt, sorgte für den Look and Feel einer Ausstellungseröffnung am Anfang des Jahrhunderts. An den hohen Wänden des Saales waren, wie russisch gehängt, die Schallplattencoverquadrate aus der Jugendzeit dieser Herren, so auch der unsrigen, neben- und übereinander aufgereiht.

In einem Sofortbildautomaten konnte man sich einen Streifen mit Erinnerungsporträts ausdrucken lassen. Die Bilder erschienen in Anton-Corbijn-haftem Schwarzweiss auf dem Fotopapier.

Man kann in diesem Superstore der Erinnerung auch Aufnäher kaufen mit dem Logo der Sex Pistols. Auch Stereoanlagen und Effektgeräte für ein heimisches Dub-Konzert.

In seinem Buch «Klartext» hat Arafat Abou-Chaker gerade erst ein breites Kapitel seinen Kindertagen im Rollbergviertel gewidmet. Auch er wird vermutlich niemals mehr aufhören können, living this way.

Weiterlesen

20.04.

An dem Tisch im Bistrot des Wissenschaftskollegs wurde irgendwann auch über Daniel Dennett gesprochen, über smoke and mirrors, mein Plaisir. Anderntags erfuhr ich, dass der Meister am Morgen darauf verstorben war.

Da war ich schon in Eberswalde. Die Nachricht bekam ich, vielmehr ereilte sie mich, als ich dort gerade vor dem mumifizierten Leichnam einer Katze aus dem 18. Jahrhundert stand, einem sogenannten Bauopfer. Man hat die Tiere damals noch mit dem Grundstein versenkt, um die Baugötter um fundamentalen Beistand zu bitten.

Dann also Dennett (Breaking News der New York Times).

Heute früh dann die erste Nachtigall in dem kleinen Waldstück zwischen Park und Bauland, wo ich ihr in den vergangenen Jahren schon begegnet war. Dort wird sie auch in diesem Mai, den Juni hindurch womöglich, bleiben, singenderweise, bis ihr Verstummen mir dann anzeigen wird, dass sie eine Partnerin gefunden hat.

Die Standorttreue ist, direkt ihrem Gesange nachgeordnet, was mir an den Nachtigallen am besten gefällt.

Lob der Vergeblichkeit.

Weiterlesen

19.04.

Abends im Wissenschaftskolleg. Auf Einladung von Hedwig: Tisch für sechs. Endlich mal wieder unter normalen Leuten!

Ich habe das ja leider nicht, dass ich die Schönheit des Denkens in der Warteschlange im Supermarkt finde, im Kaffeehaus oder auf der Hundewiese.

Ich will mit Verfassungsrichtern raven.

Die Innenansichten aus dem akademischen Gehäuse stimmen freilich wie viele andere Innenansichten auch, aber dafür halt ein zierlicher Mikroflieder im Vorgarten — und der konnte duften, und wie!

Oh to be young again! Am liebsten doch so young, wie OMU damals war, als man ihm den Generalschlüssel für all diese herrlichen Funkelbüchsen der BRD überreicht hatte.

Angenehme Welt.

Weiterlesen

16.04.

Wälder, der Wald gewinnt jetzt an Tiefe; selbst der Park zieht mich dringlicher in sich hinein.

Am vergangenen Wochenende, auf Rügen, war es sogar tagsüber zu spüren: Allein unter Bäumen und, bloß durch das Sonnenlicht — möglicherweise war Caspar David Friedrich ein guter Maler, kein guter Künstler. hat er schon geschaut, was wir dort schauen durften?

Milchig grüne Wasser und die Kreide von den Felsen, über die Hände verteilt, machte die Haut seidig wie sonst nichts.

Es war dort, außer uns, kaum ein Mensch.

Auf dem Weg, eine Schnecke, mit butterhellem Gehäuse.

Ich bin für sehr viele Dinge mehr dankbar (morgen mehr)—

Islands in the stream

That is what we are.

Und aus dem Nirgendwo der Tiefe schallt der Ruf «Shoo-whoo»!

Weiterlesen