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2021:
SCHÄUMENDE
TAGE

Seit dem 1. Januar 2016 führe ich ein öffentliches Tagebuch, das in jedem Jahr unter einem wechselnden Titel erscheint. In diesem Jahr lautet das Motto «Schäumende Tage». Tagebucheinträge aus den vorangegangenen Jahren sind archiviert bei waahr.de

25.1.

Ist es wirklich erst einen Monat her, dass Weihnachten war? und kann es sein, dass nur ein einziges Jahr vergangen ist, seitdem wir auf Jamaika waren?circa 2020.

Wenn das so weitergeht, sagt Friederike, können wir bald Silberne Hochzeit feiern.

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24.1.

Morgens Schnee, dicht und eilig. Weißes Rauschen, vom Anblick her (das genauso gut Schwarzes Rauschen heißen könnte, Black Noise; beim «Ameisenrennen» sind die Anteile schwarzer und weißer Punkte doch ungefähr gleich?)

Eine Frage an Louis Chude-Sokei, dessen Livestream ich zeitversetzt, als Aufzeichnung angeschaut habe. Draußen noch immer Schnee, nichts davon ist liegengeblieben. Er sagt, dass der Urknall ein Echo durch die Zeit hinterlassen haben wird «the echo trailing into infinity can only be the experience of life, the source of narrative and a pattern for history.»

Ein wunderbarer Gedanke. Nährend. Wie die Postmodern Pancakes von Kenny Shopsin auf seinem Schiffskatalog von einer Speisekarte: bestehend aus Pfannkuchen, die, in dünnne Streifen zerschnitten, in Pfannkuchenteig zu Pfannkuchen ausgebacken, aufgetragen wurden.

Es gibt eine Darstellung von Sonnengeräuschen, die der Physiker Alexander G. Kosovichev aus den Daten, die eine vorüberfliegende Raumsonde festhielt, in irdische Klänge übersetzt hat. Man hört ein brummendes Murmeln, kein Gebrüll. Könnte alles mögliche sein.

Die Fantasie ist um so vieles mehr interessant als die Wissenschaft. Aber ohne Wissenschaft keine Fantasie.

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23.1.

Der Sonnenaufgang war zum zweiten Mal ausgefallen und ich wusste nicht, was ich lesen sollte. Stattdessen schaute ich einen Film. Ball of Fire, der im Enzyklopädistenmilieu angesiedelt ist. Barbara Stanwyck spielt eine Frau namens Sugarpuss ‚O Shea. Es gibt eine Szene mit Beatboxing.

Angenehme Verteilung von Hell und Dunkel. Trotz der frühen Stunde konnte ich ihn ansehen, ohne mich geblendet zu fühlen.

Draußen war mittlerweile ein grauer Wind aufgekommen. Einige Wolken kamen mit seinem Tempo nicht mit, sie wurden langezogen.

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22.1

So mancher Sonnenaufgang wollte von mir gemalt werden. Gestern schmolz sich hinter den Häusern ein rechtwinkliges Feld ins himmelweite Blau, wie das Fenster in der Backofenklappe, dahinter schien es gelb und gleißend herzugehen. Diese irre Fantasie von Thomas Pynchon, dass das Brüllen des Sonnenfeuers bis zu uns herüber laut zu hören sein müsste, aber dass die Sonne diesen Lärm jetzt halt auch schon so lange, seit Menschengedenken von sich gibt, dass die Menschen selbst ihn nicht mehr wahrnehmen können; dass sie abgestumpft geboren sind für das Dauergebrüll aus der kosmischen Nachbarschaft…

Eine Fantasie wie gesagt, das Vakuum erstickt sogar den Schall.

Wobei ich, seitdem ich das gelesen habe, beim Anblick mancher Vögel schon ins Zweifeln komme, ob vielleicht sie für diesen Frequenzbereich empfänglich geblieben sind. Ob sich damit ihr lauschender Blick erklären lässt, wenn sie selbst einmal den Schnabel halten?

Auf den letzten Seiten ging es bei Isabelle Graw um ihre Tanzschulzeit. Bedauerlich, dass sie kein Tagebuch führt, in dem ich von Morgen an einfach immer so weiterlesen könnte. Ich werde ihren Ton vermissen, der mich seltsamerweise an Tanja Arnheim erinnert, deren Website es ja in Wirklichkeit auch nicht gibt.

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21.1.

Ich stelle fest, dass es mir wichtiger geworden ist, wo ich einkaufe. Da sich das Gesellschaftsleben — also meines zumindest — auf das Einkaufen beschränkt, ist es mir wohl wichtig geworden, wo das stattfindet; wie es dort ausschaut, die Einrichtung, die Beleuchtung, Präsentation, Sortiment et cetera. So beobachtete ich mich gestern beispielsweise in der Kleinmarkthalle dabei, wie ich einem Blumenkohl außergewöhnliche Beachtung schenkte, weil der lavendelfarben war und irgendwie auch anders zerklüftet, zudem mit Artgenossen zu einer Pyramide aufgetürmt. Scheint aber nicht bloß mir so zu gehen, V. Vale hat schon ein Lied über seinen liebsten Supermarkt komponiert und aufgenommen, Costco, eine Art Metro für alle, die es in Frankreich schon gibt aber hier halt noch nicht. Mit der Betonung auf noch.

Von ihm auch ein herrliches Zitat von J.G. Ballard: «When I walk down the street, I reinvent it in my mind.»

Bei Isabelle Graw ging es um die nicht uninteressante Frage, ob sich Museumsdirektoren, Kuratoren und Kunsthändler zwangsläufig verschulden müssen, um mit dem Lifestyle der Sammler mithalten zu können, woraufhin sie von denen erst als ebenbürtig erkannt werden können, was entscheidend sich auswirkt auf ein zu begründendes Vertrauensverhältnis, das im Idealfall dann in den Austausch von Kunst gegen Geld mündet. Beziehungsweise: Handelt es sich dabei um eine Variante des Kellner-im-Ritz-Syndroms?

Auf der Einkaufsliste von V. Vale (falls der Nachbar ihn morgen zu Costco fahren kann):«a small ladder (if they have it)».

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