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2021:
SCHÄUMENDE
TAGE

Seit dem 1. Januar 2016 führe ich ein öffentliches Tagebuch, das in jedem Jahr unter einem wechselnden Titel erscheint. In diesem Jahr lautet das Motto «Schäumende Tage». Tagebucheinträge aus den vorangegangenen Jahren sind archiviert bei waahr.de

6.8.

Der warme Wind ist zurück. Vor sechs Jahren haben wir uns näher kennengelernt (fernmündlich).

Wie Lars Gustaffson schrieb: «Es sollte ein Tag sein»

Bohrer ist tot.

Doch eine Hummel

Noch irgendwo, die im Himbeerschatten

ihren Bogen ausprobiert.

Der leichte, nicht hartnäckige Wind

Ein Wehen.

Und der Nebentisch füllt sich mit Yankees.

Du skall vara där

Men du skall inte tala så mycket

Bara stryka litet över mitt hår

Och se mig i ögonen

Med det där lilla leendet

Längst inne i ögonvrån

Och så vill jag

Se denna värld försvinna

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5.8.

Ein Gemisch aus süßem Lindenblütenstaub und Regenwasser fault in den Pfützen. Der Gestank ist apokalyptisch — na klar, was denn sonst? Partiell riecht es wie in Bangkok, wie in Kalkutta. Den Gestank in diesen Städten sieht man auf den Fotos freilich nicht.

Über Nacht hat — zudem — jemand etliche Fassaden in meiner Nachbarschaft mit einer ungelenken Darstellung von Hammer und Sichel besprüht. Natürlich in Rot.

Ausgerechnet hier, will ich meinen. In Pankow. Wo jedes CDU-Plakat zur Bundestagswahl bislang heruntergefetzt wurde, aber gekonnt, bis bloß noch das Gesicht einer Frau mit blonder, «glockenförmiger Frisur» (Andreas Neumeister) und das verfemte Parteienkürzel übrig war. Wie zur Mahnung (ohne wie).

Hammer und Sichel erscheint trotzdem auf seltsame Weise aus der Zeit gefallen. Glaubt denn tatsächlich noch irgendjemand an die sogenannte marxistisch-leninistische Vision?

Bangkok bedeutet Knallschwanz auf Englisch. Think about that…

Die Maschine sagt: Lesbarkeit gut.

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4.8.

Im Aufwachen schon das klare Gefühl, dass etwas anders ist: Die Mauersegler sind fort. Es fehlt jetzt ihr schleifendes Geräusch im Hinterhofrund.

Für sie ist der Sommer jetzt vorbei, sie haben sich aufgemacht, nach Afrika; die schlafen in der Luft.

Wie genau sie dort hin finden, wie, in jedem Jahr aufs Neue, an den immerselben Platz, dort in Afrika, das hat mir — zehn Jahre ist es her in— einst Professor Berthold erzählt; ich war eigens dafür zu ihm in seinen Garten gefahren. Radolfszell. Da hatte er gerade seinen Magenkrebs besiegt und roch leicht nach Leberwurst. Er riet mir, selbst auch etwas zuzunehmen. Bei einer schweren Krankheit rettet uns das Übergewicht «was wir zuzusetzen haben».

Die Zeitung (Springer) hat meine Geschichte von den Kryptochromen damals übrigebs abgelehnt. Tiergeschichten waren vor zehn Jahren noch schwer loszuschlagen: »Zu uninteressant».

Es war, wie gesagt, eine andere Zeit.

Heute früh freute ich mich schon auf die Rückkehr der Mauersegler im kommenden Jahr. Generell auf das Künftige.

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3.8.

Immer wieder mal werden Säuglinge an mir vorübergerollt und dann recken die ihre Hälse und schauen mir aus ihren unvergleichlich klaren, weil unvergifteten Augen nach.

Freiheit ist bloß im schmerzfreien Körper möglich.

Gestern, da ich durch das Zipperlein wie aus blauem Himmel gefangen mich fand durch den Schmerz habe ich Bilder gefunden — noch und nöcher — für meine Gefangenschaft.

Dass Teile von mir ganz aus Glas geworden, übernacht, und ich, zugleich übernacht, auf organische Art und Weise nun zu einem Hüter über die glasgewordenen Teile abkommandiert.

In «Arbeit und Struktur» gibt es diese eine, die mich wie nichts berührende Stelle, wo er mit Kathrin die Videos anschaut von den Selbstmordversuchern, die von der Golden Gate Bridge springen «Jeder springt anders».

So habe ich die Joggenden wahrgenommen, gestern, als ich selbst unbeweglich war.

Oder ist das ein ungehöriger Vergleich, weil ich noch lebe und er längst tot?

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1.8.

Ersprießlicher Nachmittag — manchmal hat man es ja im Gefühl, wenn sich dort drunten, draußen etwas Lohnendes ballt.

Gleich um die Ecke, in einem zeitverlorenen Innenhof trafen wir erst eine, dann zwei und drei, bald vier von den Katzen und Katern an, die wir in den vergangenen Wochen kennengelernt hatten. Beziehungsweise hatten sie sich uns vorgestellt. Aber immer bloß einzeln. Nun alle versammelt. Bei unserem Rückweg fanden wir dann die Pforte versperrt.

Später, am Ufer des Flusses, die ersten Brombeeren. Es ist jetzt aber schon abzusehen, dass mir die Ernte wohl nicht so reich beschieden wird wie noch in Frankfurt auf der Brache (dafür wächst hier Sanddorn und ich weiß sogar wo).

Die Ostberliner sind das Selbstversorgertum gewohnt, sie sind darin auch gewiefter als die Frankfurter. Heute beobachtete ich eine Frau, die einen Schuhlöffel als Werkzeug zur Brombeerernte einsetzte… Und seit das Ernten Foraging heißt, gibt es freilich selbst hier diese Erntenden, die beim foragen ihre Fahrradhelme aufbehalten.

Ziemlich zerstochen wieder daheim. Aber auf die schöne Art.

Wenn es jetzt noch gleich gewittert, wird das Glück nimmer glücklicher sein.

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