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2021:
SCHÄUMENDE
TAGE

Seit dem 1. Januar 2016 führe ich ein öffentliches Tagebuch, das in jedem Jahr unter einem wechselnden Titel erscheint. In diesem Jahr lautet das Motto «Schäumende Tage». Tagebucheinträge aus den vorangegangenen Jahren sind archiviert bei waahr.de

18.7

Sonnenaufgang am wolkenlosen Himmel, nur wenige Stunden vom Land Unter entfernt. Wenn Politiker in Freizeitkleidung die Flutgebiete besichtigen, wirken sie wie verwandelt. Ich erkenne sie am Gesicht wieder. In ihren Anzügen wirken sie wiederum verkleidet auf mich.

Auf den Straßen um die Kulturfabrik trifft man jetzt in der Früh wieder Menschen, die desorientiert in der Gegend herumstehen; Paare, die von einander nicht lassen können, obwohl die Bar längst geschlossen ist.

Wie Starkregen für den Wald: Gut für die Außengastronomie.

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16.7.

Im Winter will ich selbst Stein, hingegen in den Sommern zu dem Gold werden, das meine glitzernden Snapshots umfließt.

Sind diese Mauersegler vielleicht die faszinierendsten Wesen? Der Eintrag in der Wikipedia ist jedenfalls einer der besten.

Heute früh gab es Galettes zum Frühstück. Und den herrlich bitt’ren Tee, den Alexander mir geschenkt (der einstmals mein Novize war).

Telefonate verheißen bloß Gutes.

Das Leben ist wunderschön; vor allem meins.

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15.7.

Raumforderungen der städtischen Fauna: Vor zwei Nächten wurden wir geweckt durch zwei Fledermäuse, die droben an der Zimmerdecke kreisten. Das Geräusch ihres Flatterns habe ich noch immer präsent — im Ohr, wie es heißt. Schatten haben sehr wohl Schatten.

Heute früh dann hat es ein Exemplar Mauersegler (m|w|d) fertig gebracht, durch die Balkontüre einzudringen und über die Stufen hinab in die Küche hinein, wo er sich — erfolglos gottlob — an meinem Greisenhaupt (Cephalocereus senilis) zu erspießen drohte. Seppuku™ am Morgen vertreibt zwar Kummer und Sorgen, doch barg ich ihn dann lieber noch in einem Geschirrtuch und schüttelte ihn zur Straße hin aus wie einen Schluck Wasser. Er segelte sofort seiner Wege, in seinem Element.

Am Boden derweil die Müllabfuhr, von der er nichts weiß. Eine Prozession in orange, die noch einmal an ihm vorübergezogen sein wird.

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10.7.

Heiterer Abend auf St. Pauli am mir bis gestern unbekannten «unteren» Ende der Paul-Roosen-Straße. Es gab natürlich Fisch (Äsche).

Heimfahrt in einem der magischen MOIA, die hier leise und schwarz durch die engen Gassen gleiten. Schauten wie fahrende Kaabas aus. Moia vermutlich nach einem Atoll benannt?

Eines Tages sollen die Moias einen ohne Fahrer nach Hause oder anderswo hinbringen. Bis es soweit ist, sitzt derweil noch eine Person Of Color am Steuer. Im Inneren des quaderförmigen Mobils ist es übrigens überraschend geräumig. Das haben sich die Designer wohl bei Kirchenschiffen abgeschaut.

Roland Barthes ist ja nun tot, aber vermutlich hätte ihm das Gemurmel der beständig zusteigenden Fahrgäste gefallen, die zuvor mit ihren Nicknames auf einem Bildschirm angekündigt werden. Kurz vor dem Erreichen unseres Fahrziels stiegen zwei junge Frauen zu, maskiert selbstverständlich, die sich anscheinend von einer Essenseinladung bei einer dritten verabschiedet hatten. Sie versicherten sich gegenseitig ihrer Sorge um die psychische Gesundheit ihrer Gastgeberin: «So schmal war sie noch nie.»

Derweil hatte sich freilich die Schiebetüre zur Außenwelt längst wieder verschlossen. Traumhaft glänzend glitt unser Diskurs durch die Nacht.

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7.7.

Lange Zeit bin ich früh aufgestanden. Fünfzigster Teil: Pankow

Mit dem Sonnenschein im Rücken gehe ich über die Grüne Grenze nach Prenzlauer Berg, wo im Mauerpark mittlerweile die Salbeiblüte in die fedrig leichte der Kornblumen übergegangen ist. Im vergitterten Vorgarten des Stadions sah ich dort vier oder fünf junge Füchse, die sich, dabei einander gegenseitig beißend, den Hügel hinauf jagten. Ungewohnte Geräusche. Womöglich sollte ich auch meine Impfung gegen die Tollwut auffrischen lassen.

Heute kamen die Jalousien.

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