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1.11.

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Am Sonntag ein letztes Mal im Freibad: Ich hatte davon in der Zeitung gelesen (Taz🐾). Ausgerechnet das aus bürgerlicher Perspektive beäugte «Prinzi» machte mir dieses Angebot. Vier Bahnen im ungeheizten Sportbecken. Ich hatte die Temperatur mit der Fußspitze als gar nicht so unangenehm empfunden, aber unmittelbar nach dem Eintauchen fuhr mir ein eiserner Stab durch das Genick ein und vom Schädeldach aus verbreitete sich eine glühende Taubheit in die Extremitäten, die auch noch eine Viertelstunde nach dem Verlassen des kühlen Nass‘ anhalten sollte.

Beziehungsweise wollte. Aber solch ein ungewöhnliches Körpergefühl! Dazu die Atmosphäre der mit Herbstlaub bedeckten Wege, der müde Beton und die lichter werdenden Bäume ringsum, die hier und da schon Blicke erlaubten auf die umgebende Sozialbaukulisse… Auch dass es dort insgesamt nur wenige Badegäste gab, die sich unter dem stahlgrauen Himmel um die abgelassenen Becken verloren, gab dem ganzen Erlebnis etwas dezidiert Russisches. So hatte ich das tragische Reich dort erlebt: untröstlich. Es musste noch nicht einmal weitergehen, aber es sollte.

Dass am Eingang zwei Sicherheitsbeamte saßen und noch einmal sich die Personalausweise zeigen ließen wie im tiefsten Sommer des nun vergehenden Jahres machte meinen russischen Nachmittag in Kreuzberg perfekt.

Der eine war sogar aus Hawaii.

Gestern dann nicht aus Wehmut, auch nicht aus Neugierde, aus einem dritten Gefühl heraus in den russischen Supermarkt am Stuttgarter Platz. Unter dem beheizten Vorzelt werden Brom- und Him- und die anderen Problembeeren feilgeboten. Ein Twen, Wolfgang Tillmans would love to shoot with him, kassiert ohne Worte. Aus zahlreichen Lautsprechern drängt ein hektischer Song. Aber selbst die aufgestapelten Dosen mit Lachskaviar verharren ungerührt. Nüsse und Samen und Beeren, Melonen. Auch diese Welt gibt es also noch immer. Und sie fühlt sich alive und well.

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