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8.4.

8.4.

Andere werden Marcel Duchamp sagen, für mich ist Donald Judd der Jahrhundertkünstler.

Gar nicht einmal wegen seines Atelierruhms, also inwiefern er andere Künstler mit seiner Kunst beeinflusst hat oder noch immer beinflussen kann, sondern mit dem noch schwieriger zu erfassenden Einfluss, den andere Bereiche des Lebens von Judds Kunst ausgehend abbekommen haben (wie von einem freiliegenden Kern spaltbaren Materials).

Es ist diese spezielle Wirkung seiner Kunst, die mindestens einen Kunsthistoriker schon dazu getrieben hat, Donald Judd den freischaffenden Designern, den Gestaltern im eigenen Auftrag, zuordnen zu wollen — allen, bloß nicht den Künstlern; mir sind solche Kateforien egal. Ich wüsste auch nicht, wie ich die Kunstwerke von Donald Judd, seine Stacks und Boxes anders nennen würde als Judd selbst, der sie mit Specific Objects als Boxes und Stacks bezeichnet hat.

Und ich teile freilich sein Unbehagen, ihn als einen Bildhauer zu bezeichnen — das Hauen stört mich. Vor allem geht es bei ihm doch um noch viel mehr als um die Boxes und Stacks.

Der Nachbarort hier, in der Nordwestuckermark hat sich seitdem wir vor Corona zum letzten Mal hiergewesen sind, stark verändert. Und das, obwoh dort kein einziges Haus mehr hinzugekommen ist. Es ist dort noch nie ein einziges Haus neu hinzugekommen, seitdem die Berliner diesen Ort, es ist noch nicht einmal ein richtiges Dorf, bei mir daheim würde man die Ansammlung von Gebäuden um eine Kirche als Flecken bezeichnen, als Latifundium entdeckt haben. Pinnow heißt der Flecken, die Berliner, diese Berliner in the know, sagen «die Hamptons».

Seitdem wird dort Haus um Haus, Gehöft um Gehöft, Langscheuer um Heustadel auf eine spezifische Weise umgebaut, die mich an Donald Judd und sein Marfa erinnern. An eine Ansammlung von Zweckbauten im Nirgendwo, die von ihrem ursprünglichen Zweck — Landwirtschaft, Schule, Gärtnerei — enthoben werden, um als Landsitz wie neu geboren zu erstehen.

Die Pinnow umgebende Landschaft, die Nordwestuckermark erinnert von ihrer Ödheit her stark an die Wüste von Texas, in der Judd seine leerstehenden Hangars und Militärschuppen fand. Hier (knappe hundert Kilometer hinter Berlin auf Polen zu) gibt es, polemisch ausgedrückt, noch nicht einmal mehr Landschaft. Und freilich auch keinen Öffentlichen Nahverkehr, keine Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe, keine Restaurants, noch nicht einmal einen Döner-Imbiss, geschweige denn einen Spätkauf.

Aber es gibt, und darin unterscheidet sich Pinnow von Marfa: jede Menge Anwesen. Keine Ateliergebäude, in denen Künstler gleich welcher Metiers hier, weil es hier Platz genug für alle gibt, an raumgreifenden Skulpturen oder Gemälden schaffen.

In Marfa hat Donald Judd eine ideale Umgebung für seine Kunstwerke geschaffen. In Pinnow werden Lebensentwürfe präsentiert.

Im Gegensatz zum White Cube, in dem alles gleich gut ausschaut, alles wie Kunst, dominiert hier der Clay Cube: Es sind gedeckte, natürlich wirkende, oftmals ungewöhnlich dunkle Fassaden- und Wandfarben, mit denen die hohen Räume nach ihrer Entkernung angeputzt oder gestrichen wurden. Vor diesen dunklen Wänden wirkt alles eben nicht direkt wie Kunst, sondern alles wirkt rustikal. Jede Schafgarbendolde, die sich vor einer asphaltfarbenen Wand öffnet, wirkt skulptural. Auch irgendwie traditionell. Dadurch auch selbstverständlich. Beinahe wie gewachsen. So, als fände sich hier alles zum ersten Mal. Auch selbst.

Ist das jetzt noch Gestaltung, oder wird es bald Kunst?

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