7.1.
Den restlichen Tee hatte ich am vorangegangenen Nachmittag verbraucht. Zu Weihnachten war uns eine Tüte mit Kaffeebohnen, original in der Röstung für die Spiegelkantine geschenkt worden. Ein Logo der Spiegelkantine, ein Blick in die Lampen von Verner Panton aus der Froschperspektive, war auf die Tüte gedruckt. Der Kaffee schmeckte herrlich. Würzig, rau. Ich stellte mir vor, wie — vielleicht war es Cordt Schnibben selbst, der dort in Hamburg an einer raumhohen Fensterfront stand und hinaussah, durch die Scheibe, auf einen vom Nebel verhangenen Kanal, gefüllt mit dunklem Wasser. Es hatte gerade zu schneien begonnen, ganz sanft schwebten die Flocken umher und ich dachte an das Titelbild der nächsten Ausgabe: Ein bunter Scherenschnitt von Trump auf der Kuppel des Capitols, wie King Kong, die Flammen lodern empor, er spielt auf einer Harfe (die Harfe besteht aus seinem gelben Haar) — oder würde dieses gelbe Haar selbst eine der Flammen abgeben müssen, die am Capitol emporzüngelten? Oder: Würden nicht Trumps schwarze Augen, sein schwarzer Mund allein, grob vereinfacht dargestellt wie bei Edvard Munch, in einer der orangefarbenen Flammen genügen?
Ich schaute in meine leere Kaffeetasse. Noch lieber bliebe ich bei Tee. Mir war zuletzt eine Probe überreicht worden, das geleerte Tütchen hatte ich aufbewahrt. Das Kraut wurde als Assam Nr. 5 TGBOP BOISAHABI bezeichnet. Laut dieses etwas überdeterminiert formulierten Etiketts handelte es sich obendrein um einen «feinen, kraftvollen Herrentee mit malziger, kastanienroter Tasse» (der mir trotzdem sehr gut gemundet hatte).
Auf dem Weg ins Plaza fiel mir ein normal alter Vater auf, der sein Kind im Wagen an mir vorüberschob wie in einem Film. Die filmhaftigkeit der Szene wurde vor allem durch die Augen seines Kindes hervorgerufen, die groß und klar und wasserblau glänzten. Das Kind drehte seinen marzipanzarten Kopf nach mir, der ich in die entgegengesetzte Richtung davon strebte. Ich fürchtete, gleich dreht er ab. Als ich wenige Augenblicke später einen Vogel fotografieren wollte, sprach mich ein Mann an. Er hatte sich von mir unbemerkt genähert, sodass ich erschrocken war.
«Keine Angst, ich bin von der Polizei.» Er zeigte mir einen Ausweis der Kriminalpolizei. Auf seinem Outdoor-Handy rief er das Bild einer jüngeren Frau auf, die dort grell ausgeleuchtet neben einem an der Wand befestigten Metermaß aufgenommen worden war: «Haben Sie diese Frau schon einmal gesehen?»
Ich antwortete mit einer Gegenfrage, was mir leider erst bewußt werden konnte, als ich meinen Satz selbst zu Gehör bekam. Auf meine Erwähnung des wie ausgedacht klingenden Namen des konspirativen Hausbewohners ging er gar nicht erst ein. Der Ermittler sah derart unscheinbar aus, dass ich mich kaum sattsehen konnte. Beziehungsweise musste ich wieder und wieder zu ihm hinsehen, aber ich konnte mir kein einziges Detail einprägen. Er war wie die Frau, nach der er suchte: Einer von vielen, von sehr vielen.
Sie waren (beinahe) überall.
Morgen fahren wir weg; weit weg. Vielleicht ist dort ja die Welt noch in Ordnung.