Zum Inhalt springen

5.1.

5.1.

Am Morgen hatte ich mich noch beklagt, dass seit beinahe einem Jahr nichts anderes in der Zeitung steht; dass ich mich von dieser Eintönigkeit allmählich gelangweilt finde. Auch weil ich «Zuflüsse von außen brauche, weil du sonst nichts absondern kannst», wie Hermann Lenz festgestellt hatte. Diesen Zufluss von außen gab es ja wohl noch, die Zeitung kam unbeirrt jeden Tag durch den Briefschlitz ins Haus, aber ich empfand sie mittlerweile als eintönig, was, wie Friederike feststellte, zwar für mich so sein mochte (wir versuchen unsere Sphäre frei von Floskeln zu halten) aber halt so nicht der Fall war. Es standen und stehen, so Friederike, noch andere und andersartige Nachrichten in der Zeitung; es gibt von dort diesen Zufluss, Du findest ihn bloß nicht.

Aber es war ja auch die Birne durchgebrannt in der Dunstabzugshaube. In unserem Heim ist es die Lichtquelle, die mir am liebsten ist. In deren Lampe Schein ich am liebsten dasitze und bin. Die einzige im Supermarkt erhältliche Birne mit passendem Gewinde war nur ein schlechter Ersatz (also keiner): Zu dunkel war das Licht der Backofenbirne, die zwar einer Umgebungshitze von bis zu 300° Grad Celsius ausgesetzt werden könnte, aber dafür saß ich in ihrem bräunlichen Schein wie in einem Renaissancegemälde. Mein Telefon indes zeigte auf seinem gleißenden Schirm den nächstgelegenen Baumarkt als geöffnet an.

Gegen die Outskirts von Griesheim ist die Zone freilich ein bürgerliches Viertel. Halb Industriegebiet, der übrige Teil eine Ödnis aus lieblos ineinandergefahrenen Mietskasernen — auf seinem Weißen Album hatte Haftbefehl zumindest einen seiner Texte in dieser Ungegend angesiedelt; aber nicht deswegen, sondern des C-Wortes wegen hatte sich vor dem Baumarkt ein Türsteher aufgestellt. Wie beinahe immer wurde ich auch von diesem Bouncer abgewiesen. Ich verwies ihn auf Google.

«Google! Auf unsere Website müssen Sie schauen.» In den Baumarkt vorgelassen wurden lediglich Handwerker mit Gewerbeschein. Au net schlecht.

Aber im Gegensatz zu den anderen Türstehern in meinem Leben schaute er sich zumindestens meine Glühbirne an: «Ist die für eine Dunstabzugshaube? Die haben wir sowieso nicht, die sind irgendwann aus dem Sortiment gefallen…» Doch noch bevor ihm das A-Wort herausrutschen konnte, gab er mir einen nähergelegenen Tipp: Ungefähr dort hinten, hinter dem Getränkemarkt und neben dem Frischeparadies gäbe es seines Wissens noch einen illegalen Elektrogroßmarkt: «Möglich, dass der so etwas hat.»

Im Frischeparadies, das konnte ich von außen sehen, steckten die Leute mit ihren Einkaufswagen dicht ineinanderverkeilt im Mittagsstau fest. Der konspirative Elektrogroßmarkt befand sich tatsächlich gleich nebenan. Der Vorraum wurde von einem mächtigen Aquarium dominiert. Dessen Scheiben waren stark veralgt. Dahinter wackelten Schleierschwänze mit ihren Schwänzen. Auf mich wirkten sie fahl. Ein Angestellter bequemte sich zu mir, verwies mich aber auf den übernächsten Hinterhof: Er handelte lediglich mit Unterhaltungselektronik. Dort aber würde mir geholfen. Außer, dass ich dort einen Angestellten einer belgischen Spedition kennenlernte, der nicht abladen durfte — was ich mir schrecklich vorstelle —, passierte aber auch dort nicht mehr viel in Sachen Birnenkauf. Dieser konspirative Elektrogroßhandel wurde immerhin von zwei Asiaten betrieben. Als ich sie rief und dabei mein Birnchen schwenkte, winkten sie schon von weitem ab und riefen «Nein, Nein!» Dies weder höflich, noch freundlich, sondern asiatisch neutral. Also eigentlich zum Ausrasten. Aber Asiaten kneifen ja nicht etwa ihre Augen zusammen, um eine winzige Glühbirne von weitem besser begutachten zu können, ihre Augen sind so. Und so ähnlich stelle ich mir auch die Reklamationsabteilung vor von dem Chinesen auf der Europaallee, bei dem Friederike unsere Atemschutzmasken kauft.

Wieder daheim, im Schein meiner Backofenleuchte, empfand ich jedenfalls tiefgehende Zufriedenheit. Als ob ich einen halben Roman gelesen.

Weiterlesen