Zum Inhalt springen

4.10.

4.10.

Genüsslich und auch mit Gewinn lese ich «Imperium» wieder (von Kapuściński). Ein älteres Buch gewiss, damals hat man Russland noch mit ß geschrieben. Aber im Lichte unserer Tage liest es sich noch einmal anders und wie neu.

Er (Kapuściński) ist einer von den Menschen, die ich gerne sprechen wollte, aber zu spät gekommen war. Als ich meine Anfrage sendete, ging es ihm schon nicht mehr gut genug.

Das Kapitel über Moskau im Jahre 1989 hat seit seinem Verstummen nur mehr an Gewicht zugelegt: «Die Deutschen sprechen vom Zeitgeist. Der Augenblick, in dem sich dieser Zeitgeist, der eben noch traurig und apathisch wie ein nasses Vöglein auf einem Zweig hockte, plötzlich und ohne ersichtlichen Grund (jedenfalls ohne Grund, der sich ausschließlich rational erklären ließe) zum kühnen und freudigen Flug emporschwingt, ist faszinierend und hoffnungsspendend zugleich. Wie alle können das Rauschen dieses Fluges hören. Er weckt unsere Phantasie und verleiht uns Kraft: Und wir beginnen zu handeln.»

Phantasie damals, 1993, noch mit Ph.

Und heute, 2022, da ich dies schreibe, sind durch die Wolken über mir hindurch die Wildgänse zu hören, die jetzt um diese Zeit wie eh und je aus den Wäldern der Borealis in Europas Süden ziehen.

Ich denke dieser Tage freilich oft an den Dogen von Moabit. Es ist jetzt ungefähr bis auf den Tag genau vier Jahre her, dass er, inmitten der laufenden Heftproduktion — von seiner eigenen, der von ihm verlegten Zeitschrift wohlgemerkt — seine Zelte hier in Ostberlin abbrechen musste, um nach Moskau umzuziehen.

Wie es ihm dort wohl ergangen sein mag? Wie es ihm heute wohl geht?

Weiterlesen