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4.1.

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Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass ich noch ein paar Tage von diesem Ausflug nach Bad Homburg zehren würde. Aber dann entdeckte ich in einem Kühlregal im Skyline Plaza einen Neuzugang, der mir ein ziemliches Erlebnis versprechen wollte. Dabei handelte es sich um eine Vollmilch, auf deren Verpackung groß und von daher auffällig gedruckt stand «Diese Milch wurde von uns Verbrauchern gewählt»; in weißen Großbuchstaben auf grünem Grund übrigens, dieser Aufdruck; der Rest des Milchkartons ist blaugrundig bedruckt, wobei dort, auf der unteren Hälfte des Verpackungsdesigns vor allem ein recht unbeholfenes, wie von Torsten Gaitzsch gezeichnetes Emblem aus einer Sprechblase mit Augen und Mündle auffiel, das den Zusatz-Slogan «Du bist hier der Chef!» umrahmte. Der unverbindlich empfohlene Verkaufspreis «von Verbrauchern gewählt» für diesen Liter Milch sollte 1 Euro 45 betragen. Nicht billig, vielleicht aber preiswert?

Jedenfalls hatte mich das Ganze schon sehr neugierig gemacht, obwohl ich ansonsten ein treuer Käufer der Vollmilch aus der Molkerei Schwälbchen bin (allein schon wegen Wilhelm Genazino, der zeitlebens ebenfalls ein Liebhaber von Schwälbchens Vollmilch war; so sehr sogar, dass er dieser Köstlichkeit in einer seiner obskureren Erzählungen, der Ausschweifung, einen frivolen Auftritt bereitet hat) und das vermutlich auch bleiben werde, denn von ihrem Geschmack her hat die von Verbrauchern gewählte Chefmilch mir im Vergleich mit der aus Schwälbchens Hähnen nichts Vorteilshaftes zu bieten gehabt. Sie ist halt teurer. Der politische Aspekt, der ja bei genauerem Nachdenken schon in die konzeptionelle Nähe einer «Volksmilch» führt, wie sie garantiert vom Axel-Springer-Verlag auf den Markt geschoben werden wird, sobald die Grünen die Bundestagswahl «krachend» gewonnen haben werden, bleibt ja eher dubios. Auf der Website des Milchvermarktungsvereins www.dubisthierderchef.de mit Sitz im schönen Eltville erfuhr ich beispielsweise, dass die Idee einer Volksmilch auf eine französische Initiative zurückzuführen ist. Es handelt sich dabei mehr oder weniger um ein Überbleibsel des Gelbwesten-Movements. Der Gründer des deutschen Ablegers heißt dann auch folgerichtig Nicolas und lässt im Dialog mit den Bauern auch seinen französischen Akzent durchschmecken. Wobei: Es ist im Grunde bloß eine einzige Genossenschaft aus Hessen, über deren Abgabepreis die etwa 9000 Abstimmenden abgestimmt haben, die sich jetzt laut dieser Milchverpackung Chef nennen dürfen. Im Grunde ist es also eine Marketingoffensive dieser bislang gesichtslosen Molkereikooperative. Und hat man uns in der Grundschule noch eingeschärft, dass «Sex sells», so ist es halt mittlerweile Basisdemokratie.

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