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07.03.

Innewohnen ist ein schönes Wort in unserer Sprache. Auf Reisen bin ich es selbst, der den Kulturen innewohnt.

Beispielsweise an jenem Ort, keinem Dorf, der nicht einmal einen Namen hatte. Kein Schild. Die nächste Ortschaft nannte sich «Red Light». Die Gegend war hoch in den Bergen hinter der Hauptstadt, Kingston, auf ungefähr 800 Metern über dem Spiegel des Meeres, das sich von dort oben aus auch blicken ließ zwischen den Wolken: glitzernd; ab und an.

Vor unserer Tür dort hing eine Pflanze, die ich zunächst für künstlich gehalten hatte: Strongylodon macrobotrys, wenn es regnete, es regnete oft, lagen wilde Mangofrüchte auf dem Weg, sie waren winzig und süß.

Einmal fing es zu regnen an, kaum dass wir los gewandert waren nach Red Light — Dornbracht-Feeling über Stunden. Im Tal, wo wir einer handlangen Schnecke begegnet waren, stieg einer aus seinem Führerhaus aus, um uns eine Moskito-Salbe zu bringen.

Die Abende verbrachten wir in einer Berg-Kneipe, die sich «Reddy’s Hot Spot» nannte. Dort saßen meistens Greise unter dem Vordach, ins Domino-Spielen vertieft. Die Steine hauten sie auf den wackeligen Tisch, uns fiel besonders die Bemalung der Außenwand auf, wo allerlei Frauenfantasien festgehalten waren.

Eines Abends rückten dort mit einem Mal junge Männer aus Kingston ein. Einer hatte sogar eine Vorrichtung mitgebracht, um ruckelfrei filmen zu können. Gedreht wurde ein Clip für YK Kastro, eventuelle auch bloß für Chronic Law — wer weiß das schon genau.

Getränk der Stunde war Rum, overproof, gemischt mit «Boom», einem einheimischen Energy Drink. Und nicht bloß deshalb: neue, zartfließende Töne…

Es gibt einen interessanten Aufsatz von Isis Semaj-Hall über diese neue Musikrichtung des «Emotional Dancehall», die sich wohl auf die recht jung verstorbenen Künstler XXXTentacion und Juice WRLD bezieht.

Überall sonst ist es interessanter als bei Dir daheim, leider

Reddy’s Hot Spot war übrigens ein Schnellkochtopf, der in den fünfziger Jahren auf Jamaika vertrieben wurde.

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