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30.6.

30.6.

In den vergangenen Tagen war es unerträglich schwül geworden. Zudem hatte sich die Lindenblüte ihrem Höhepunkt genähert. Eine beinahe toxisch zu nennende Mischung aus Stickigkeit und süßen Düften, die alljährlich die Tage um Siebenschläfer markiert.

Gestern noch hatte ich unter unter eben einer dieser Lindenbäume gesessen mit einem Mann namens Fu. Und er, der von Beruf ein Saftpresser ist, hatte mir vom Wissen seiner Großeltern in Vietnam erzählt. Die hatten das Wasser aus dem Inneren der Kokosnüsse einst den Verwundeten als Infusion in den Blutkreislauf geleitet. Das Innere der Kokosnuss und das Immunsystem des Menschen verstehen sich offenbar gut.

Von diesem Lindenbaum in Berlin, unter dessen Duftglocke mir diese Geschichte erzählt worden war, ließ sich ein Duftbogen spannen bis zum vergangenen Sonntag, als wir in Leipzig nach dem Kajakfahren auf der Weißen Elster in einem wuchernden Garten saßen. Wo Rebecca, die Krankenschwester ist von Beruf, mir eine Geschichte aus ihrer jüngsten Vergangenheit erzählte.

Die hatte sich in den ersten Wochen der Pandemie begeben, als in der Universitätsklinik noch keine Atemschutzmasken der FFP-Klasse zur Verfügung gestellt werden konnten und pro Mitglied des Pflegepersonals lediglich eine Papier-Maske pro Arbeitstag. Am Abend wurde ein junger Mann eingeliefert. Ein Drogenabhängiger, ganz offensichtlich, aber der Grund für seinen schlechten Zustand akut blieb unergründlich. Aufgrund seines jahrelangen Abususes war es den Professionellen unmöglich, ihm auch nur ein Quentchen Blut abzuzapfen. Nicht aus seinen Armen, nicht aus den Beinen, auch nicht aus dem Hals.

Rebecca meinte, diesem Mann auch ohne Blutuntersuchung angesehen zu haben, dass es mit ihm zu Ende ging. Irgendwann sagte der Todgeweihte, der noch keine dreißig Jahre alt war, dass er der Versuche müde sei und auf seine Diagnose verzichten will. Demnach aber auch auf seine Therapie. Die Intensivstation war zu dieser Zeit schon belegt. Man versuchte ihm klarzumachen, dass es wahrscheinlich war, dass er den Morgen nicht mehr erleben würde.

Rebecca fand ihn in den Nachtstunden auf der Toilette seines Mehrbettzimmers. Er hatte sich den Harnkatheder selbst herausgezogen, um dort, in der fensterlosen Zelle eine Zigarette zu rauchen. Noch davor war er von den anderen Patienten unbemerkt zusammengebrochen und verstorben. Allein.

Heute regnet es schon den ganzen Tag. Die meiste Zeit über lag ich neben der geöffneten Tür zum Balkon, wo es toste und rauschte. Wie eine Pflanze nahm ich die neue Kühle und die Feuchtigkeit in mich auf. Zumindest im Geiste. Was ja so oder so das Wesentliche ist.

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