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30.3.

30.3.

«Du brauchst mi‘ net abzuhole‘ weil ich kenn‘ ja den Weg»
Der Spruch ist typisch für Conny, eine geistig behinderte Frau, die neben uns lebt; besser: neben der wir gelebt haben — weil wir ja nicht mehr lange dort leben werden.
Connys Stimme wurde zu einem Element wie Licht, Luft, Nacht oder Tag, im vergangenen Sommer, der ja vor allem hier, in Frankfurt, ein ausgesprochen heißer gewesen war.

Conny lebt im Nachbarhaus. Von daher grenzt ihr Balkon an unsere Schlafzimmerseite. In dem, wie gesagt, außergewöhnlich heißen Sommer ‚021 haben wir unsere Schlafzimmerfenster nachts permanent geöffnet stehenlassen; und permanent wehte, während wir schlafen wollten, Connys Stimme herein.

«Ich bin sonst sorgfältig, aber ich suche die Unterlagen für mein Handy — sonst gibt es Ärger mit Herrn Vogt» war einer der nächtlichen Klassiker, der — ungefähr einhundertmal in geschätzt einhundert Nächten wiederholt — sich bei mir eingeprägt hat wie das Vaterunser.

«Geh‘, wenn Du gehst» war eine kryptische Alternative zu einem jäh hervorgebrachten «Keine müde Mark!».

Und kein Wort, bis heute kein einziges zu «Corona».

Der Sommer im Jahr 2021 war nämlich nicht für alle in Deutschland von Corona geprägt. Für Conny ging es damals hauptsächlich um ihren Abschied von einem Mann namens «Dieter», der sie zu Beginn der Krise verlassen hatte.

Diesen Verlust beklagend, ihr Vermissen des Dieters in die verdammt heiße Nachtluft posaunend, war es im Nachhinein betrachtet (und belauscht) doch viel eher Conny mit ihrer Stimme, die diese vergangene Zeit für mich prägen sollte.

Ich hatte in den Iden des März sogar angefangen, eine längere Erzählung zu schreiben, in der eine Stimme zusammen mit anderen spiritistischen Phänomenen auf das Leben eines Liebespaares Einfluss nimmt. Aber wie das so ist: nach einhundert Seiten stellte ich fest, dass noch nicht genug Zeit verstrichen war zwischen dem Erlebnishorizont und der Erzählzeit. Und so ließ ich diese Arbeit vorerst ruhen.

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