Zum Inhalt springen

29.5.

29.5.

Sidi Kaouki ist nicht weit von Berlin. Nach einem Flug von vier Stunden landet die Maschine in Marrakesch und man betritt dort ein Flughafengebäude, das luftig und weit erscheint, von überall her vom Licht der Sonne durchflutet, vergleichsweise sogar modern (verglichen freilich mit der Oase der Trostlosigkeit, von der man einst aufgebrochen war).

Die Fahrt über Land führt über eine leere, doch nicht öde Erde. Dort lassen sich kaum Siedlungen, auch nur wenige Menschen blicken. Olivenhaine, Arganwälder umfriedet von langen Mauern aus Feldsteinen geschichtet. Sie reichen anscheinend bis an den Horizont.

Das Wort «Sidi» soll ungefähr unserem Sankt gleichbedeutend sein. Die Gebeine des heiligen Kaouki sind in einem Mausoleum aufbewahrt, das auf einer Klippe am Ortseingang errichtet wurde. Wann, das bleibt schwer zu bestimmen. Hier leben Menschen, die ihr eigenes Geburtsdatum nicht kennen. Von offizieller Seite wurden sie der Einfachheit halber auf den 1. Januar irgend eines Jahres geschätzt.

Viele sind es übrigens nicht. Die Ortschaft setzt sich aus allenfalls dreißig Häusern zusammen — kaum mehr als ein mittelprächtiges Straßendorf in Brandenburg; und auf wiederum ähnliche Weise entlang einer einzigen, anderthalbspurigen Straße besiedelt. Allerdings halt am Meer.

Atlantikküste! Seit der Kindheit vertraut. Unf hier, ein paar hundert Seemeilen südlich geht es noch immer so zu wie weiter oben am Rande Frankreichs: Enormer Tidenhub. Bei Ebbe ist der Strand mehr als doppelt so tief. Das angenehme Greige des nimmertrockenen Sandes. Priele. Dünungen. Und Dromedare. Pferde auch. Hunde. In sämtlichen Nuancen der Sandfarben, die man sich anmischen kann.

Selbst wenn man, wie neulich erst wieder Rick Owens, sich nicht als Designer begreifen will, sondern als Auslöscher: Hier gibt es nichts mehr zu tun. Hier, in Sidi Kaouki ist alles perfekt. Und von daher natürlich umso mehr bedroht. Die Ladenschilder vor allem, direkt auf den pastellfarbenen Kalkputz der Gebäude gesprüht; in Schreibschriften freilich, von Kinderhand. Ein Pfauenschrei. Der Nachtwind, im Schatten die Katzen.

In den Träumen dieser Katzen waren wir beide uns schon einmal begegnet.

Weiterlesen