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28.4.

28.4.

Mittags bekam ich unerklärlicherweise Lust auf Mappo Tofu. Da ich die dafür notwendigen Zutaten ohnehin besorgen müsste, steuerte ich der Effizienz halber das einzige China-Restaurant im Viertel an.

Innerhalb der Szene exotischer Restaurants in Deutschland sind die chinesischen mittlerweile von den nachrückenden Japanern, Vietnamesen und seit kurzem erst Koreanern in die unterste Schicht abgedrängt worden. Von daher war es für mich nicht weiter verwunderlich, dass dort lediglich ältere und noch sehr viel ältere Einwohner Pankows den Gastraum bevölkerten.

Die Küche der chinesischen Einwanderer hat in Deutschland zu lange gezögert, um noch den Anschluss zu schaffen an den Trend zur Authentizität. Dass jetzt in Pankow als Vorsuppe eine «Soljanka süß-sauer» aufgetischt wurde, kam mir vergleichsweise überraschend vor.

Ein Greis, er saß in einer Art Gefährt mit Elektroantrieb, surrte zur Türe herein. Er bat darum, zu einem der freien Tisch gelotst zu werden «Ich sehe so gut wie überhaupt nichts mehr.»

An dem ihm zugewiesenen Nebentisch vorgefahren, musste er erst gar nicht von seiner Kellnerin verlangen, dass sie ihm aus der Karte vorlas — geradezu rührend kümmerte sie sich aus freien Stücken heraus um ihn und es wurde ihm so eine Bestellung von Meeresfrüchten mit Cashewnüssen empfohlen, zuvor ein Glas Martini Bianco, denn der Elektrogreis hatte nach einem Aperitiv verlangt.

Am anderen Nebentisch hatte sich mittlerweile eine ächzende Matrone mit Lambruscofarbener Kurzhaarfrisur niedergelassen. Ihr gegenüber saß ein junger Mann, der offenbar in einer verwandschaftlichen Beziehung zu dieser Frau stand. In leiernder Stimmlage bestellte sie bei dem Kellner «zwee solche Suppen».

Wie mit einem Mal fiel mir auf, dass sie mich an Frau Merkel erinnerte.

Der Erblindende schaute mich an mit diesem schwer zu beschreibenden Fernblick, den ja manche schon für seherisch gehalten haben wollten. Seine Lippen waren von der Soße gelblich gefärbt. Die Finger seiner linken Hand umspielten den joystickhaften Geschwindigkeitshebel an seinem Stuhl.

Falls man übrigens den Eindruck bekommt, dass das Niveau in den Restaurants kontinuierlich absinkt, heißt das noch lange nicht, dass dort die Qualität der Küchen nachlässt; allzu oft hat man bloß selbst noch besser zu kochen gelernt.

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