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28.12.

28.12.

In dieser «seltsamen Zwischenzeit» (Olaf Scholz) kommt zum Schweigen der Amseln das Schweigen der Baustellen noch dazu. Heute früh führte mich mein Weg an einer dieser Stätten der Betriebsamkeit im öffentlichen Raum (S.d.B.i.ö.R.) vorüber und dort, wo es bis zum Heiligabend noch schallte und dröhnte, gelegentlich sogar krachte, war jetzt nichts weiter noch zu vernehmen, als der eisige Hauch der Russenpeitsche, der die mit Raufreif wie veredelschmimmelten Holme der Schubkarren, das Gestell der Gerüste überblies. Ein Knattern der Planen und hoch, ungeheuer droben noch ein Mann, ganz in Orange. Ansonsten herrschte Winterruhe.

Hier und da, vor allem an den Fronten der Verteilerkästen, auf deren Obenauf ich als Kind so manche Sommerstunde mit den Waden baumelnd gesessen hatte, um nach etwas Aussicht zu halten, was dann doch nie gekommen war, klebten jetzt schneeweiße Sticker, auf denen sich eine Revolution ankündigte. Unserer Regierung sollten die an sich genommenen Rechte wieder entrissen werden. Dafür suchten sie Kinder.

Andere klagten auf fotokopierten Zetteln vom drohenden Ende ihrer Existenz, das unter den sogenannten Maßnahmen nah und immer näher zu scheinen schien. Ein Euphemismus, da war ich gewiss.

Die schönsten Handschriften haben die Vietnamesen. Und der unter ihnen mit der schönsten von allen verkündet auf signalrotem Pappschild von seiner Geschäftsaufgabe nach 16 Jahren. Das lehnt von drinnen her gegen das Schaufenster. Etwas anderes gibt es hier nicht (mehr) zu sehen.

Die Haut: ich auf dem Wochenmarkt, der heute nur aus drei Ständen bestand, dazwischen Leere, die freilich eine eisige war. Brot, Fisch und eingemachte Gurken — wie im Krieg, wie nach dem Krieg. Aber halt auch wie kurz vor einem, so von der Stimmung her. Gemüse friert bei sechs Grad unter Null. Zumindest das Grüne. Äpfel werden glasig, aber «Warum soll der Rosenkohl denn nichts sein!» faucht die Marktfrau, die sie eben danach gefragt haben wollte. «Weil er gefroren ist?»

Nächstes Jahr, schreibt Döblin, soll es noch kälter werden. Aber das ist ja schon eine halbe Ewigkeit her.

Kann denn etwas, das von sich aus schweigt, überhaupt durch noch mehr Schweigen auch noch (hörbar) stiller werden?

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