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28.1.

28.1.

Dann kamen die Klempner. Da wir hier schon seit Monaten wie im Sanatorium leben, brachten sie einen Zug der Virilität mit herein, vielmehr verkörperten sie selbst diesen Zug, den ich nicht anders als erfrischend finden konnte.

Ihr Handwerk ist ja per se mit Lärmentwicklung verbunden. Rohre quietschen nun einmal, wenn sie sich winden, auch das Wort Flansch will von sich, aus seiner starren Welt berichtend, singen. Wer länger schon als Klempner schafft, kann solche Geräusche, das Knarren im Gebälk seiner Arbeitswelt, die wie das Brüllen der Sonne sind, nicht mehr wahrnehmen. Vermutlich findet dann eine grundsätzliche Abstumpfung statt, die unempfindlich macht für blanke Stille. Wenn es immerzu klappert und röhrt wird diese Kulisse bald als gewöhnlich empfunden. Erst wenn, sagen wir, sich eine Wasserleitung aus der Wand sprengt, die Fliesen umherfliegen, entfährt dem Klempner selbst ein Laut (der Überraschung; angenehm überrascht vielleicht von den dynamischen Verhältnissen, die im Innern seines Arbeitsweltgehäuses herrschen; die er zu beherrschen hat).

Schon immer ist es eine Spielart von Neid, die ich verspüre, wenn ich den Handwerkern zuschauen darf. Natürlich bin ich in erster Linie neidisch auf ihr Vokabular. Sie brauchen es noch nicht einmal einzusetzen, ich denke mir diesen Teil ihrer Arbeit, während ich sie dabei beobachten darf.

«Die schaubare Natur wird zur Quelle meiner Imagination», steht auf einer Postkarte, die Friederike mir neulich aus Berlin geschickt hat. Das Zitat illustriert eine Fotografie aus dem Forsthaus zu Wilflingen, wo unter anderem eine im Ganzen präparierte Karettschildkröte, ein Exemplar von Varanus lirungensis, ein in seinem inflationierten Zustande getrockneter Igelfisch, sowie etliche Schneckenhäuser, Muschelschalen und Korallengerippe die Wände und Regaloberseiten dekorieren. An der Lichtseite zum Fenster, das selbst leider nicht abgebildet wurde, seilt eine Efeutute ihre Ranken ab aus halber Höhe, spiralförmig; die Pflanze wächst in einem Übertopf aus einem Korbflechtimitat — weißer Kunststoff, vermutlich (die Abbildung auf der Postkarte ist in Schwarzweiß fotografiert), eine ähnlich geformte Topfzierde gab es bei uns daheim auch, früher (zur selben Zeit womöglich!), darin beheimateten wir Usambaraveilchen…

Dieser handliche Ausschnitt der schaubaren Welt steht, in einer Halterung befestigt, auf meinem Schreibtisch. Ich kenne sie schon gut, beinahe auswendig? zumindest habe ich das Abgebildete verinnerlicht. Neulich war die dort gezeigte Zimmerecke schon Kulisse für meinen Traum. Und über den Rand der Karte hinweg konnte ich einen der Klempner beobachten, wie er sich im anderen Zimmer am Heizkörper zu schaffen machte. Zudem saß ich hier bei Kerzenlicht und wollte lesen.

Während ihrer Arbeit sprachen die Klempner ständig in ein Walkie-Talkie, aus dem die Antworten wie aus weiter Ferne hallten. Von dieser Stimme, deren Sprache konnte ich nicht verstehen, wurde der eine von ihnen bald abkommandiert — wie ich annahm, in den Keller. Vielleicht saß diese Stimme ebenfalls schon die ganze Zeit über im Keller unseres Hauses, vielleicht kam sie auch von weiter weg, aus Polen zum Beispiel. Ich fragte mich nicht, warum man bei der Hausverwaltung darauf gekommen war, ein Unternehmen aus einem anderen Land mit der Reparatur der Heizung zu beauftragen; in den Hundstagen kommen die Schlosser, die Kempowski die Fenster vergittern, selbstverständlich aus dem nahen Dorf. Der ‹Bastard Marwenne› im Abend mit Goldrand ist zumindest ansprechbar.

Ich fragte mich, wie es wohl auf sie, die Klempner, wirkte, dass sie in einem anderen Land auf Montage waren, wo man ihre Sprache nicht verstand, man sich deswegen auch nicht mit ihnen unterhalten konnte und man sie lediglich aus diesem Grund beauftragt hatte: weil ihre Arbeitskraft billiger war. Was sie, eventuell bloß für mich, nahe den Robotern rückte.

Dazu ihre Fernsteuerung über Walkie-Talkies! In einer Sprache, die ich nicht verstand. In der diese Stimme dem noch in der Wohnung verbliebenen Klempner womöglich gerade befahl, mir die Kerze auszupusten «…to snuff his candle.»

Dabei hatte ich eigentlich etwas anderes schreiben wollen.

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