Zum Inhalt springen

20.2.

20.2.

Nach einem gewaltigen Frühstück (Knackwurst, Stracke, Hack (roh)) und reichlich Kaffee ging es über den Kamm hinüber auf die andere Seite des Kessels, wo die Köhlerswitwe in ihrer Hütte haust. Schafe lagen auf verschneiter Weide. Die Sonne schien durch ein milchfarbenes Vlies. Bald wurde es warm.

Obschon guten Willens, auch gut gelaunt, konnte die Witwe sich leider nicht mehr an den Amerikaner mit dem Mausebart erinnern, der in den sechziger Jahren sich hier umgehorcht und -geguckt haben wollte. Aber von den Karsthöhlen im Kalkgebirge erzählte sie gern. Auch wie sie als junge Frau den Bombenangriff auf Nordhausen erlebt hatte, den die Engländer geflogen hatten, um den vorausgegangenen Beschuss Londons mit den V2 zu vergelten, die in Nordhausen gefertigt worden waren: nämlich als Dienstmädchen einer Familie französischstämmiger Bürger, deren jüngster Sohn dann als Passagier des erstbesten Passagierschiffes nach den Vereinigten Staaten abgedampft war… später dort Ingenieur geworden, bei Boeing…

Das Haus, die Hütte, in der sie am Waldrand wohnt, nennt sich Finn-Hütte und schaut von weitem auch genau danach aus: wie zwei Scheiben Finncrisp, aneinander gelehnt, ein Kartenhäuschen. Ihren verstorbenen nennt sie «meinen Lebenskamerad».

Derzeit, bei geschlossener Schneedecke kommt das Rotwild aus den Höhelagen des Harzgebirges herab in die Weiten des Südharz — vorgestern standen 20 Rehe bei ihr vor der Tür.

Und hinter den schneeweißen Bergen lag einst Dora-Mittelbau.

Sie lebt dort ganz allein.

Zwischen den Spuren im Schnee: goldiges Funkeln. Ein halbes Pfund Kaffee, gemahlen. Dem Christkind aus der Tasche gefallen. Vakuumverschweißt.

Weiterlesen