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20.10.

20.10.

Ängste öffnen den Raum
für Projektionen.

Im Café Laumer haben sie jetzt im Gartenzimmer eine Ausstellung von vier quadratischen Gemälden, auf denen in neo-expressionistischer Stilistik ein Sittenbild der Frankfurter Gesellschaft modelliert wird (Tower meets Lippenstift).

Meine Kellnerin gab sich bedeckt: Die Bilder seien nicht zu verkaufen. Es handele sich um Werke aus dem Privatbesitz ihres Chefs, die Künstlerin ist eine Berlinerin. Den Namen gab sie nicht preis.

Wenn man Siri anweist, «dichtbefahrene Straßen» bei Routen zu Fuß auszuklammern, darf man im Gegenzug seine Stadt abermals und dieses Mal wie von Neuem zu entdecken.

Es fing vorgestern schon an, ganz harmlos — in einer Seitengasse — aber dann auf dem Hin-, und erst recht auf dem Heimweg heute wurde mir klar: dass ich Frankfurt liebe.

Halt so, wie man eine Stadt lieben kann. Also brutal.

Dafür, für Liebe nämlich, braucht es keinerlei Gründe. Man fühlt sie ja trotzdem. Von daher bleiben sie interessant: Frankfurt ist eine kompakte Stadt — nicht bloß im Vergleich zu Berlin, aber dazu besonders! In Berlin sesshaft zu werden, dort zu leben, Berliner zu sein ist für die Meisten ja eine Lebensaufgabe. Das Anstrengende am Leben dort wird bald zu einer Art Note in der Persönlichkeit, bestimmend im sogenannten Narrativ, also der Erzählung von sich. In einem kleinen, relativ gleichförmigen Binnenland wie Deutschland kann das schon etwas wie die Welt bedeuten.

Frankfurt hat dieses ozeanisch Unendliche, das Unübersichtliche damit auch — nicht. In Frankfurt, das gefällt mir hier, ist alles greifbar. Die Stadt erinnert mich an die Betten junger Frauen, die ich unangekündigt besucht hatte, als soetwas (unangekündigt besuchen, einfach Klingeln oder Klopfen) noch usus war.

Wie um diese Betten herum liegt in Frankfurt immer alles in Greifweite: Handcreme und gestrickte Socken, Snacks, Vibrator und Fernbedienung, beziehungsweise Telefon.

In Berlin beharren die Berliner derart auf ihrem Kiez und finden alles gut dort, weil der Kosmos außerhalb tatsächlich kosmische Dimensionen hat. Und was es im Kiez nicht gibt, erfordert veritable Reisen. So lernt man sich dann zu beschränken. Wer Pech hat in der Kiez-Lotterie landet in Steglitz. Oder in Britz. Wo es schöne Häuser aber überhaupt keine normalen Läden hat.

Ich kann mir vorstellen, warum ein feines Exemplar von Mensch wie Martin Mosebach hier lebt (das «noch immer» sei mitgedacht): Wenn man die unangenehmen Teile des deutschen Jahre anderswo verbringen kann, gibt es hierzulande keine bessere Stadt, um zu arbeiten, als dort. In Frankfurt gibt es alles, es gibt sogar Tradition, es gibt Kirchen. Und der Flughafen ist zurecht weltbekannt.

Die Restaurants nicht zu vergessen. Kürzlich, beim Mittagessen im Richard, kamen wir alle, jeder für sich, auf den gemeinsamen Schluss, dass wir in Berlin vor allem der Restaurants wegen leben. In Frankfurt gibt es die ja auch. Aber ihre Vielfalt versteckt sich, geht man einfach bloß so umher, findet man sie eher nicht. Es gibt auch keinerlei vergleichbare Blog- oder sonstwie Medienlandschaft, die sich der Stadt verschreibt.

Wer hier Fuß fassen will, muss es erleben. Anlesen, wie es in Berlin usus ist seit 2007, kann man sich Frankfurt nicht.

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