2.1.
Ein Neujahrsspaziergang in neuen Schuhen. Sie waren mir noch rechtzeitig vor den Feiertagen am Morgen des Heiligabends gebracht worden, aber nachdem ich sie aus ihrer erfreulich kantenscharf erhaltenen Schachtel ausgepackt hatte, brachte ich es infolge nicht mehr fertig, sie auch anzuziehen. Tagelang schaute ich sie mir an, wie sie dort in ihrer Stille beeinander standen. Nicht gerade das hochheilige Paar aus dem Lied, aber dennoch so würdevoll; noch unausgebeult von meinen Füßen, schmal, lang und wie bestäubt von ihrer weißen Farbe, wie darin eingehüllt (oder gewickelt). Ihre Stille durfte ich nicht zerstören.
Am Neujahresmorgen dann in den noch immer makellosen Schuhen in die sogenannte Zone, die Idsteiner Straße, die am Ende unserer Straße beginnt. In der Silvesternacht hatte ich dort, am Horizont tatsächlich ein in Grün und Gold funkelndes Feuerwerk gesehen. Am Neujahrsmorgen war dort alles leer wie sonst nie, auch roch es dort so frisch und gut wie sonst schon lange nicht mehr an einem Neujahrsmorgen zuvor. Ein kleiner Junge sammelte Blindgänger: rot, dick, mit blauen Lunten, allenfalls leicht feucht geworden. Wer weiß, vielleicht will er ja Galerist werden?
Obwohl in der Zone wohl kaum jemand deutsch spricht, gibt es dort an einer Straßenecke einen gläsernen Schrank, in dem gebrauchte Bücher angeboten werden. Ich schaue dort ab und an vorbei, das Angebot wechselt tatsächlich: manche Bände verschwinden, andere kommen dazu. Immer sind es durchwegs deutsche Titel.
Auf der stillen Straße aber lagen, verstreut wie Kirschblütenblätter, aus einem Buch herausgerissenen Seiten. Über Nacht vollgesogen mit Feuchtigkeit. Die Sprache war für mich nicht zu entziffern, eventuell Polnisch? Der Name des Autoren wurde auf jeder Seite obenstehend wiederholt: Joseph Conrad.