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19.12

19.12.

Seit Tagen schon stapelt irgendjemand die Exkremente seines Hundes auf dem niedrigen Mäuerchen, das den Vorgarten eines benachbarten Hauses umgibt. Ein Anblick, der mich herausfordert; provoziert; verärgert und sogar beinahe wütend macht. Ich empfinde ihn als provozierend, vermutlich in einer Übertragung meines Ärgers über die Impfgegner, die ich auch nicht im einzelnen mit Namen und Geschichte kenne. Schweigende Massen.

Und wie stets vor Weihnachten zeigt sich der Himmel auch nicht gnädig, kein Schnee — weit und breit—, um die Schande auf dem Mäuerchen zu bedecken.

Gestern früh begegnete mir daraufhin ein Mann, den ich schon von weitem her als einen Ureinwohner lesen konnte. Mit Hund. Er hielt einen Zweig von einem Rhododendron in der Hand. Vermutlich von dem alten Busch inmitten des Amalienparks. Nicht abgeschnitten, sondern abgerissen, wie ich im Näherkommen erkennen konnte.

Freilich fühlte ich mich gedrängt, ihn zu bitten, doch in Zukunft ein Messer zu verwenden, um den Busch nicht unnötig zu schädigen. Dann aber schob sich eine andere Wahrnehmung bei mir in den Vordergrund: Ich sah, wie der Blick des Mannes die Häuser am Wegesrand absuchte, ehemalige DDR-Mietskasernen, die dort seit Monaten aufwändig zu Townhouses en miniature umgebaut werden. Und ich meinte in seinem suchenden Blick auch so etwas wie Resignation entziffern zu können, zumindest war es doch Verzweiflung, dass er hier auf dieser Straße bald wie in einer von den Eltern geerbten Wohnung leben müsste, in der ihm nach und nach eine weitere Zimmertür versperrt würde, wie am Vorabend von Heiligabend, aber die Bescherung in diesen Räumen fände dann ohne ihn statt.

Und wie ich ihn beinahe gänzlich zuende gedacht hatte, tat er mir freilich beinahe leid.

Aber wir gingen beide weiter unsere Wege (und sprachen kein Wort, auch keines des Grüßens, wie es hier schon immer Sitte war, auch vor der Wiedervereinigung und vor dem Mauerbau und vor dem Zweiten Weltkrieg, als dort an der Stelle der Mietskasernen noch das Stift zur Maria Heimsuchung war.)

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