12.10.
Erste Frühnebel, ein orangefarbenes Band zieht sich über die Firste im Norden. Der Geruch von Holzfeuer liegt in der Luft.
300 Seiten später trifft Ryszard Kapuścińsky in Kiew ein (das man freilich damals hierzulande noch anders ausgesprochen hat — deutscher; weniger sachkundiger vielleicht. Aber mit den Clowns kamen die Tränen):
«Es ist die einzige Stadt in der ehemaligen UdSSR, in der die Straßen nicht dazu dienen, möglichst schnell nach Hause zu gelangen, sondern zum Flanieren, zum Spazierengehen. Ähnlich ist es nur noch in Petersburg, aber dort erweist sich das Klima als hinderlich — es ist viel kälter, windiger, oft regnerisch und eisig. Kiew hingegen ist warm, windgeschützt und sonnig. Nachmittags findet man in der Innenstadt Unmengen von Menschen, doch das sind keine politisierten Massen, keine Versammlungen, sondern Tausende von Spaziergängern, die aus den stickigen, engen Büros und Wohnungen strömen, um ein bisschen frische Luft zu schnappen. Außerdem haben sich in Kiew Reste der frühen Kaffeehäuser erhalten. Man kann dort — wenn man lange genug Schlange steht — sogar ein Glas Tee und ein Stück Kuchen bekommen, was zum Beispiel in Moskau völlig undenkbar wäre.
Die Architektur Kiews ist Thema für eine andere Erzählung. Man findet hier alle Epochen und Stile — von den wie durch ein Wunder geretteten mittelalterlichen Klöstern und Kirchen bis zum schaurigen stalinistischen Sozrealismus. Und dazwischen Barock und Neoklassizismus und vor allem einen üppigen, überladenen Jugendstil. Was muss das früher für eine wunderbare Stadt gewesen sein! Die Zerstörung ihrer architektonischen Schätze begann nach dem Jahre 1917 und dauert faktisch bis heute.»
Wie gesagt, ein altes Buch (aus dem Jahr 1993). Anfang unseres Jahrhunderts kaufte ich in einem Laden auf der Boxhagener Straße einen schönen Bildband über die Schätze und Sehenswürdigkeiten des Irak. All das, was darin auf vielen Seiten ausgebreitet und sotto voce auch gefeiert wurde, den ganzen Irak!, gab es kurz darauf nicht mehr. Ich habe das Buch Cypiren geschenkt, an einem Vorabend meiner Übersiedelung nach Afrika. Ich hatte damals das Gefühl, der Irak könnte bei ihm in den besten Händen sein.