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10.1.

10.1.

Während ich beim Fahren in die untergehende Sonne blinzelte kam mir die Idee, ob ich in diesem Jahr nach dem Ratschlag meines unvergessenen Lehrers für Deutsch und Geschichte leben sollte: ohne Zeitung. Nicht zur Abwechslung und auch nicht als alberner Vorsatz. Aber er war der Ansicht (ich nehme an, gewesen), auf diese Tour käme man auf ein noch einmal ganz anderes Plateau (er drückte sich natürlich nicht so aus, aber den Ton vergisst man halt leicht, den Inhalt der Rede dagegen nicht, nicht wahr?)

Wie ein Zeichen hatte ich bei meiner Rückkehr einen ungewohnt kleinformatigen Umschlag im Briefkasten vorgefunden, darin das Notizbuch von Isabelle Graw. Vor Unzeiten bestellt, kam es jetzt wie gerufen. Ich brauchte ja anderen Stoff als Ersatz. Was die morgendliche Lektüre angeht: Ich habe sie gern unterhaltsam. Außerdem hatte ich tatsächlich schon seit beinahe einem Jahr kein Buch mehr von einer Autorin gelesen. Das war also ein Zusatzpunkt, der für In einer anderen Welt sprach. So gesehen, aus männlicher Perspektive, ist allein der Titel viel versprechend. Und schon im Vorwort geht es auf eine angenehm komplexe Weise um die Beschreibung sowie Abgrenzung eines Ichs, das diese Texte verfasst haben soll. Während ich las, ließ ich das Ultraschallgerät surren, in dessen Innenraum die Rheinmuscheln ihrer Reinigung harrten. Jetzt bei der Niederschrift frage ich mich, ob das ganze Tier Muschel heißt oder ob bloß das Innere, das man essen kann, als Muschel bezeichnet wird. Und die Gehäusehälften der Muschel, die ja zeitlebens als eine Art Exoskelett der Molluske dienen als — Muschelschalen?

Dazu brannte bis zum Sonnenaufgang eine Kerze. Auch zum Andenken an den kleinen Hund Floyd, sowie an den Kater Dusty, die ersten Toten in diesem Jahr, die ich kannte. Dusty aber lebt weiterhin, als GIF oder Clip einer namenlosen schwarzen Katze, der aus einem engwandigen Glas Wasser schlürft. Würde die Katze allein durch einen Filmschnipsel am Leben erhalten, der irgendwo in den Untiefen eines Speichers aufbewahrt wird, um dort seines Anklickens zu harren? Ich glaube nicht. Ein Platz auf der Website bedeutet einen Platz in der Öffentlichkeit. Und wenn nur zwei User das GIF der schlürfenden Katze betrachten, ist der Kater Dusty direkt unter ihnen.

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