13.2.
Dass meine Rückkehr nach Frankfurt sich aufhaltsam gestalten würde, war in Anbetracht der bundesweiten Wetterlage mit Schnee und Eis vorauszusetzen. Vergleichbar mti einem mehrgängigen Menü, wo ich die Folge der einzelnen Gänge zwar in der Speisekarte gelesen und ihre Bestandteile verinnerlicht hatte, nahm ich nun in dem sogenannten Sprinter Platz; gespannt, wie man mich seitens Streckenführung überraschen würde.
Zum Auftakt lief dann alles wie am (eisernen) Schnürchen: Der weißlackierte Zug jagte durch die weißen Ebenen Brandenburgs, um darauf das Tischtuch Sachsend zu zerschneiden. Am Bahnhof von Halle an der zugefrorenen Saale wurde aufgrund von Störungen im Betriebsablauf eine gute Stunde Verspätung akkumuliert, aber die Stimmung war gut. Ich hatte endlich Zeit, mich mit dem Frühwerk von Grischa Lichtenberger zu beschäftigen.
Innerlich schon halb daheim, um mit Friederike letzte Hand an die Vorbereitungen zum Valentinstag zu legen, drang dann während eines Aufenthalts in Fulda eine Lautsprecheranlage zu mir durch, die ich auf angenehme Weise als irritierend empfand. Wir würden nun, obzwar schon mitten in einem Frankfurter Vorort stehend, nach Bayern umgeleitet, um dann über Aschaffenburg in Frankfurt am Main Einfahrt halten zu können. Ich dachte freilich an meinen lieben Vater, an sein gütig zwinkerndes «von Hinten durch die Brust ins Auge»… Auch das Emoji «Regenwurm» stand mir vor dem inneren Auge. Der Grund für diese Umleitung war allerdings schnöde. Ich habe ihn vergessen.
Während unserer verlangsamten Fahrt schaute ich mir auf Youtube die Podiumsdiskussion von Bernd Eilert und Martin Mosebach in einem menschenleeren Saal der Evangelische Akademie an, die dort anlässlich des 75. Jubiläums (der Akademiegründung) aufgezeichnet worden war. Vor den Fenstern draußen gab es nichts mehr zu sehen. Die fränkische Landschaft war schütter, auf mich wirkte es nachlässig, beinahe herzlos verschneit; ich war von der sächsischen Schneefee verwöhnt worden.
Ich wickelte schon das Kabel meiner Kopfhörer um meine Finger, als wir in Hanau, hier also schon tatsächlich im Frankfurter Raum noch einmal, dieses Mal ausserplanmäßig
zum Halten gekommen waren. Grund war «ein Polizeieinsatz».
Spannend! Bisschen fürchterlich auch, denn angeblich ist das ja auch eine Art Codewort für Selbstmordversuche im Lingo der Bahn und da wir schon standen, beziehungsweise der Zug die Stunden zuvor eher gerollt als gerast war: Hatte der Zugführer vielleicht einen Lebensmüden gewalzt? Vor den Fenstern auf dem Bahnsteig waren mit einem Mal auch ein knappes Dutzend Polizisten in schwerer Montur und mit leichten Maschinenschusswaffen zu sehen.
Endlich das erlösende Dröhnen der Zugführerstimme aus den Deckenlautsprechern: «So, ich rede jetzt einmal Klartext. Und zwar…» War es wohl so gewesen, dass einem Passagier, einem Bundespolizisten in Freizeitkleidung, der auf dem Weg in den Urlaub war, aufgefallen war, dass ein einzelner Passagier einen verdächtigen Gegenstand mit sich führte. Er hatte daraufhin heimlich Fotos von diesem Passagier und von dem Gegenstand gemacht und diese dem Zugeführer gezeigt. Klandestin, im sogenannten Zugführerabteil. Dieser allerdings, der Zugführer, hatte ihn zu beschwichtigen versucht. Seiner Ansicht nach handelte es sich bei dem sehr umfänglichen, aus Alufolie gefertigten und gänzlich mit Paketband isolierten Hüftreif mitnichten um einen Sprengstoffgürtel, sondern um eine — na ja, wie soll man es bezeichnen: Korsett? Die beiden, Zugführer und Bundesbeamter in Zivil, waren daraufhin zum Hüftbereiften hingegangen und hatten ihn höflich zur Rede gestellt. Der hatte ihnen, aus seiner Sicht wahrheitsgemäß, erklärt, dass es sich bei diesem mutmaßlichen Sprengstoffgürtel-Slash-Korsett um einen Schutzschild handelte, den er zu tragen nötig hatte, weil ihn der israelische Geheimdienst Mossad mit einer Strahlenwaffe traktiert. Und das ständig, auch hier und jetzt gerade, während dieser Fahrt. Im Nachhinein wundert es mich übrigens, dass dieser offenbar schizoide Paranoiker nicht endgültig durchgedreht war, als sich ihm ein Mitreisender als Bundespolizist in Zivil offenbarte. Aber gut, die Wahnwelt hat vermutlich auch ihre Nischen und Schublädle, tiefe Falten im Samt, aus denen selbst dem vom Wahn Verwöhnten noch die exquisitesten Überraschungen präsentiert werden zu der einen oder anderen Stund’…
Die Bundespolizisten mit den Maschinenpistolen und den Helmen verstanden freilich keinen Spaß. Das Abteil wurde Tatort-mäßig evakuiert, der Ring Man ins Freie eskortiert, dort umstellt und von seinem Ring getrennt, während man seine Personalien überprüfte, beziehungsweise festzustellen versuchte, wer er wirklich war. Aus seinem Gepäck, das im Wesentlichen aus einer breiten Einkaufstasche bestand, einer volkstümlichen Ausgabe der längst klassisch gewordenen «Never Full» ragte ein Schild, auf dem er die Domain seines Blogs in Blockbuchstaben kundtat: derdissident.net. Ich betrachtete seinen antisemitischen Reif aus Silberfolie und Paketband, der dort im Sonnenschein auf dem verschneiten Bahnsteig von Hanau lag.
Ausgerechnet in Hanau, dachte ich. Ausgerechnet heute.