06.11.
Abends im Haus Für Poesie in Prenzlauer Berg: Peter Waterhouse setzt sich, betont grußlos, hinter das Mikrofon, blättert das Buch auf, schenkt sich selbst vom Stillen Wasser ein, beginnt zu lesen. Die Sprache ist zunächst Englisch, mit deutlichem Akzent, verändert sich dann ins Deutsche, gerade so, als habe er dafür einen Regler in sich, an dem er drehte.
Der Zuschauerraum ist voll besetzt. Vorwiegend sind es Männer aus der Altersgruppe des Vortragenden, die gekommen sind, um ihn zu hören. Auf eine irritierende Weise sehen sich viele von ihnen auch ähnlich. Hochgewachsene, hagere, kempowskiëske Gestalten mit Cäsarenfrisuren. Zwei davon könnten glatt Zwillinge sein. Beim Zuhören hält der eine von ihnen die Augen geschlossen, als ob er schliefe — ein Phänomen, das mir vor allem bei Zuhörerinnen im LCB aufgefallen war, bislang — und versucht währenddessen den Verschlusszapfen seiner Thermosflasche aufzuschrauben. Geräuschlos geht das nicht. Jeder Versuch einer Umdrehung sondert ein Quietschen ab. Sein Bruder schürzt seine Oberlippe, als müsste er bald in etwas Widerwärtiges beißen.
Der Mann neben mir, er gehört zur zweiten Kategorie, zu den nicht Kempowskiësken, auch Jüngeren vielleicht, verschickt weiterhin Nachrichten an eine Empfängerin namens Sigrid Schulz. Ich frage mich, wo all diese Männer leben, die ich noch nie zuvor beobachten durfte, im Stadtbild.
Botho Strauß hat in einem Interview zum Misserfolg (aus seiner Sicht) des Partikulars festgestellt, dass jeder Autor „auf Dauer“ nur diese Leser erreichen könnte, die so seien wie er selbst.
Im an seine Lesung anschließenden Gespräch gibt Peter Waterhouse viele Einblicke in seine Arbeitsweise, die ihm im Nachhinein vor allem als eine des Wartens vorkommen will. Beinahe erscheint sie ihm als Faulheit. Das Buch ist ja sehr dick geworden und „schon bei Seite 1000 ungefähr“ sei ihm klar geworden, dass er nun nicht in den Prozess des Wartens intervenieren dürfte, „sonst verdirbst du es noch“.
Grundsätzlich wäre also ein heiteres Gespräch und auf Grundlage dessen auch ein heiterer Abend möglich gewesen. Abermals wurde mir die Bedeutung des Gesprächspartners vor Augen geführt.
Draußen, Danziger Straße, Ecke Eberswalder herrschte freilich das pralle Leben.