27.10.
Der Gestaltungswille der jungen Palermoniten geht so weit, dass sie die Lackierung der diversen Leih-Scooter, die es ja auch anderswo gibt, bis auf das Metall herunter abschaben. Zutage getreten sind sodann die verblüffend eleganten Formen des puren Rollerskeletts, dessen Existenz durch die fallweise resedagrüne, weiße oder leuchtorangefarbende Lackschicht verschwiemelt ward.
Die wie chemisch abgebeizt oder -geätzten, in Palermo abgestellten Light Metal Scooter, sind zugleich auch Referenz an den historisch kurios gewordenen Steam-Punk-Stil, der hier, nicht bloß auf Sizilien, sondern sich in ganz Italien noch immer der Beliebtheit erfreuen kann.
Anderntags kamen wir unweit der Wohnung an einem Fenster vorbei, dessen Läden, tags unüblicherweise, zu den Seiten weggeklappt waren. Zwei Herren, beide gaben sich deutlich als Freunde des Steam Punk zu erkennen, lehnten dort im Fensterrahmen. Ihr Geschäft war auf einer Fassadenmalerei als «Herrensolarium» beschrieben.
Ähnlich kurios wirkte auf mich der noch nachbebende Sommertrend, der für die Palermoniten bis zum Greisenalter das Tragen einer möglichst ausladenden und schrill gefärbten Damensonnenbrille (Céline, Ford u.ä.) vorgesehen hatte. Die dunklen Scheiben natürlich herausgenommen und durch klarsichtige, beziehungsweise Korrekturgläser ersetzt.
In einem Nudellokal, dem nach wie vor angesagten «Hufeisen», hatte der Schichtleiter ein Modell, das selbst Iris Apfel selig zu aufdringlich erschienen wäre. Sein Padrone wiederum wechselte im Verlauf eines heiteren Nachmittages von einem regulär lackschwarzen Gestell auf ein als Hommage an den Wahl-Ibizenker Michael Cretu zu verstehendes in strahlendem Weiß.
Parat lag übrigens bei der Bargeldschublade noch ein drittes aus synthetischem Schildpatt, schillernd turquois
.
In einem der wie wahllos zusammengewürfelten Bibliothek unserer Wohnung entnommenen Bildband las ich vom kalifornischen Verfasser des Vorwortes, dass ihn Palermo selbst an einen Joint erinnert habe, der über die Jahrtausende von Hand zu Hand kreisend weitergereicht worden war. Den wohl bedeutendsten Einfluss, um in diesem unrettbar schiefen Bild zu bleiben, auf die Kultur in Palermo, werden hierbei zweifelsohne die Araber hinterlassen haben. Als ich an einem der nächsten Morgen im Innenhof des Klosters, wo noch immer eine ultra traditionell geführte Klosterkonditorei unsagbar reichhaltige Köstlichkeiten mit Namen á la «Trionfo di Gola» oder «Minne di Vergine» herstellt und verkauft, drei Palermoniten im besten Sonnenbrillenalter dabei beobachten konnte, wie sie an ihren übertrieben knusprigen und mit veritablen Amphorenladungen des allercremigsten Ricotta gefüllten Canoli knabberten, schien mir mit einem Male, geradezu blitzhaft, abermals alles beim alten und klar.