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30.8.

30.8.

Nike Town, Dorf der Körper, mit Sicherheit beinahe zufällig an das «Europa Zentrum» angebaut, auf dessen Dachfläche sich noch immer ein Mercedesstern dreht.

Einst kannte ich jemanden mit einer Wohnung im zwölften oder elften Stockwerk mit einem Ausblick über das nächtliche Westberlin bishin zu dem sich drehenden Stern, der winzig aber funkelnd sich dort über der Sea of Darkness schwebend drehte…

Das war in der Zeit vor dem Drohnenblick, den man mittlerweile soweit schon verinnerlicht hat, dass man sein drittes Auge jederzeit umherschweifen lassen kann. Auch der Luftraum ist entdeckt.

Das neue Samothrake hat keine Agora, die Plätze sind den Disziplinen zugewiesen. Es gibt keine freie, ungerichtete Betätigung des Körpers. Für jede Betätigung gibt es zumindest einen dafür geeigneten Schuh.

Meine Beraterin, auf ihren mir makellos erscheinenden Zähnen ist eine feste Spange montiert, nimmt meine enthusiastischen Kommentare entgegen, die mir mein ungewohntes Körpergefühl entlockt, während ich meine ersten Schritte in den für meine Disziplin, das Gehen, geeignetsten Schuhen gegangen bin. Mein Gefühl führt sie auf die Verwendung eines speziellen Materials im Aufbau der Schuhsohlen zurück: «Es ist unser reaktivster Schaum».

Von diesen Schäumen hatte ich am Vortage in der NZZ gelesen: Dank dieses Schaums und einer durch den Schaum dieser Schuhsohle geführten Karbonplatte wurde vor einiger Zeit erst der Rekord für die Marathonstrecke auf unter zwei Stunden gedrückt. Man führt das, nicht bloß beim Schuhersteller selbst auf diese Schichtung von Innovationen zurück. Das Potenzial der menschlichen Physis schien schon erschöpft. Dann kam dieser neue Schuh.

In einem Film von Alain Resnais, der mir wichtig ist, vergleicht der Darsteller eines Priesters das Gefühl am Morgen nach dem Liebeskummer mit einem Paar neuer Schuhe, das einem verliehen wird.

Gestern ging ich beinahe den gesamten Tag über in meinen neuen Schuhen. Auf reaktiven Schäumen und Asphalt. Der Grund, warum ich gehe und nicht jogge, ist, dass ich den anderen nicht als Jogger begegnen will, sondern als ein Gehender wie sie auch. Bloß halt schneller. Und die spezifische Geschwindigkeit des Joggers sorgt bei mir auch für eine Wahrnehmung meiner Umwelt, die ich nicht nur schwer genießen kann, sondern die ich unsympathisch finde.

Das Gehen in den neuen Schuhen ist ein neues Gehen. Die Geschwindigkeit ist jetzt optimal und so, wie ich sie aus eigener Kraft in den alten Schuhen nicht selbst erzeugen konnte. Auf den Kilometer rund 40 Sekunden schneller als zuvor does the trick.

Ich sah das Zittern in der Wange der Montenegrinerin, die auf einem E-Scooter an mir vorüber zog und ich sah aus dem Augenwinkel, vielleicht, Rainald, wie er auf seinem Fahrrad in die entgegengesetzte Richtung flog. Wir befanden uns beide auf pfeilschnellen Parallelen. Parallelen treffen sich im Irgendwo.

Bienen haben ein Bewusstsein für das Konzept der Null.

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