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9.7.

9.7.

Anderntags in Wünsdorf, der Bunkerstadt bei Zossen: Die sogenannte geheime Stadt erstreckt sich hinter einem aus Eisendraht geflochtenen Zaun vor dessen Tor ein Mirabellenbaum noch grüne Früchte trägt, von denen ich mir acht Stück in die Hosentasche schmuggeln konnte, während des einführenden Vortrags unseres Führers.

Dann geht es über sandiges Terrain, aus dem die Robinien kreuz und quer in den hohen Himmel wachsen («Natur als Künstlerin»). Die Bunker, in den zwanziger Jahren errichtet und von daher von Spitzgiebeldächern gekrönt wie Fachwerkhäuser aus Beton, sind größtenteils schon zerfallen — eingesunken in den berüchtigermaßen wenig tragfähigen Grund der Mark. Die Betonskelette eingerissen vom Übergewicht der Konstruktionen mit Wandstärken um die 1,5 Meter. Wale an Land, die nie das Wasser sahen. Von wegen Seeschäumer…

Von der Faszination, der unergründlichen Lust, ins Innere dieser kolossalen Totgeburten vorzudringen, wird schon im Übermaß geschrieben worden sein. Sie bleibt eigentümlich: In 18 Meter Tiefe unter der Erdoberfläche in einer Wohn- und Arbeitswelt für Hunderte, komplett fensterlos. Teile sind eingestürzt, stockwerkhohe Krater zeigen von erfolglosen Versuchen das Werk wieder aus der Natur zu schaffen. Zumindest teilweise.

Die eisernen Türen, auch ihre Blätter meterdick, wurden nachgerüstet in der Zeit, als die Bunker den sowjetischen Besatzern als Kommandozentrale über die DDR dienten. Die Stahlblöcke sind von einer Schicht Aluminium eingefasst, die schmilzt, falls in der Gegend ein Nuklearsprengsatz detoniert. Das ausschmelzende Aluminium verhindert ein Zusammenschmelzen der Bunkertür mit der Bunkertürzarge. Die Tür zur, dann wie auch immer gearteten, Außenwelt hätte noch aufgestoßen werden können.

An den Wänden viele, viele Kratzschriften übereinander. Kyrillisch und darunter noch Deutsches. Ein gigantischer, viele hundert Quadratmeter großer Anselm Kiefer im (Tief-) Grunde: «Ich wusste, dass es schlimm werden würde, aber dass es so schlimm wird, ahnte ich nicht».

Draußen Schmetterlinge, Marienkäfer, Dill, Sonne, Sand.

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