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9.5.

9.5.

Bevor die Katzen zu uns kommen konnten, mussten wir für die Dauer ihrer Zeit eine unserer Pflanzen ins Exil schicken. Es hatte sich herausgestellt, dass sie in sämtlichen ihrer Teile ein für Katzen wirksames Gift enthält (und Katzen, obwohl reine Fleischfresser, knabbern andauernd an den Stängeln und Blättern von Grünpflanzen, auch an Sträußen. Eine andere, ungiftige Topfpflanze haben sie in den drei Wochen komplett aufgegessen).

Die exilierte Pflanze stand ansonsten neben einer anderen, kleinen, einem Gewächs aus der Gattung Euphorbia, die weniger nach Pflanze ausschaut als einem Häufchen seltsam geformter Steine. Ein Mensch aus dem Barockzeitalter hätte sie vermutlich Alraune genannt. Diese Pflanze jedenfalls, vielleicht, weil sie auf grobes Anfassen oder Hineinbeißen einen dickflüssigen, bitteren Saft absondert, wurde von den Katzen verschont. Und trotzdem begann sie in den darauffolgenden Wochen damit an, zu verkümmern.

Die Rückkehr der für Katzen giftigen Pflanze aus dem Exil verzögerte sich. Die Euphorbia kümmerte. Wir schoben es auf den ungewöhnlich kühlen Winter; ungewöhnlich, da im zurückliegenden Winter weniger geheizt worden war als in den Jahren zuvor (die Euphorbia lebt schon seit sieben Jahren ungefähr bei zumindest einem von uns).

Als dann neulich die Pflanze aus dem Exil zurückgekehrt kam und ihren angestammten Platz einnehmen durfte, geschah es: schon am übernächsten Tag brachte die steinhafte Euphorbia ganze Bündel frischer Triebe hervor. Überall, auf ihren wie versteinert wirkenden Warzen brach die bräunlich graue Oberfläche auf, zeigte sich in dunklem Grün eingefärbt und heraus drangen in Bündeln ihre schmalen Blättchen, die wie weiche Fichtennadeln wirken.

Und auch wie Hände, kleine grüne Fingerbündel, mit denen sie in die Luft zu greifen scheint. Die alte Luft zwischen ihrem unveränderlichen Raum und dem von ihrer heimgekehrten Nachbarin.

Gestern ging ich allein vor einer Gruppe von Freunden einen Hang hinab. Nur ein Hund lief mit mir voraus. Mal entfernte er sich den Rain hinauf, um dort im Bärlauchdickicht umherzuschnüffeln. Und immer kam er daraufhin zurück, um mich in einer Art Schleife zu umrunden, während ich ging.

Augenblicke von Freiheit.

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