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13.1.

13.1.

Wenn Julien Gracq über die Kiefer schreibt, geht mir das Herz auf:

«Das Gesicht des Baumes ist häufig nach oben gekehrt, und seine Schönheit ist dem ausgeliefert, was über ihm schwebt — darin sind sich alle Reisenden einig, die den Urwald überflogen haben. Aber nirgendwo in unseren Klimazonen ist das so ausgeprägt wie bei der Kiefer, wo der Blick an allen abgestorbenen, verdorrten und unansehnlichen Elementen hängenbleibt, wenn man unter ihrem Waldgewölbe dahingeht: Haufen vertrockneter Zweige am Boden, hässliche Stümpfe von dürren, entrindeten, niederen Ästen, die im Stamm steckengeblieben sind, Skelette aufgesprungener und kohlig-schwarzer Zapfen vom letzten Jahr, die noch immer im unteren Geäst hängen, düsteres und glanzloses Grün des spärlichen Kleides; die ganze Unterseite des Kiefernwaldes ist eine Produktionsstätte für abgestorbenes Holz und ausgetrocknete Nadeln.»

Als ich selbst nach langer Zeit aus dem Urweald zurückgekehrt war in die Welt, im August des Jahres 2013, hatte ich für eine Zeit lang Obdach gefunden in einem Haus, in dessen Garten ein paar alte, hohe Kiefern standen. Es war sehr heiß in dieser Zeit, es war auch dort, von wo ich hergekommen war, schon heiß gewesen und trotzdem akklimatisierte ich mich schlecht. Oft lag ich deshalb draußen in dem Garten, wo die Kiefern standen und schaute von unten an den sich häutenden Stämmen in ihre Kronen hinauf über denen der Himmel blau war. Und mit Wolken.

Auch im Nachbarsgarten standen dortmals Kiefern; es waren noch mehr, viele. Aber nur ein paar Jahre später starb der Erbauer dieses Nachbarhauses und seine Nachfahren, die Erben gaben umgehend den Befehl, das sämtliche Kiefern gefällt werden sollten, um Platz zu machen für eine Tiefgarage (die Wurzelballen der Bäume waren im Weg).

Zufällig hatte es sich so ergeben, dass ich dort gewesen war in der Nacht zuvor. In einem Winter mit wenig Schnee. Und als ich am nächsten Morgen früh erwachte, röhrten schon die Motorsägen. Und in dem ehemaligen Vorgarten des Nachbarhauses, das schon bald sein Gesicht verändern sollte wie jemand, der nach einer Schönheitsoperation nicht eben jünger, aber halt anders ausschaut, waren bald die meterlangen, baumdicken Segmente der alten Kieferstämme aufgetürmt, wie aufgebahrt, wie Elefantenbeine.

Nicht dass sie dampften!

Ein Gärtner, er war nicht alt, in gärtnersgrünen Hosen stand dort bei dem Holz und schaute mich an. Dass es die Gärtner sein mussten, die sonst das Leben in die Erde bringen und erhalten, die es in dem Fall auch beenden sollten.

«Sobald man eine Düne hinaufklettert», schreibt Gracq, «und den Blick über die sonnenbeschienene Seite des Waldes schweifen lässt, ist alles ganz anders: selbst der Baum, der von unten her am verbranntesten, am verkrüppeltsten aussah, wendet dem Licht ein gelberes und helleres, jüngeres und schimmernderes Grün zu, das hier zusammenströmt wie das Blut in den Wangen; und in den zarten Nadelsträußchen, die sich wie feinstgeflochtene Körbe zum Himmel hin öffnen, nisten überall die länglichen, neuen, mit Samenkörnern gefüllten Zapfen, die unter ihrem unversehrten Glanz grün-golden funkeln, genauso prall, genauso fleischig wie eine Ananas, und beinahe kann man verstehen, warum sie so ein Leckerbissen für das Eichhörnchen sind.»

Need(le)less to say dass auch auf dem Umschlag, des in braunem Leinen eingekleideten Buches, ein Bild von Kiefern eingelassen ist (von Félix Vallotton). Es sind deren fünf. Wie in dem Garten, in dem ich lag — wenn ich mich recht erinnere.

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