20.10.
Noch vor meiner Heimkehr war ich darüber benachrichtigt worden, dass mein Exemplar von Shadow Ticket dort auf mich warten würde. Spät am Abend öffnete ich mit dem in dieser EMail dargestellten Code, der von einem Laserauge von der Oberfläche meines Telefonbildschirmes abgelesen wurde, eine Klappe in dem kommunalen Nachtbriefkasten, in dem das Buchpaket während meiner Abwesenheit deponiert worden war.
Dieser Vorgang gehört zu einer ganzen Reihe von angenehmen Selbstverständlichkeiten meines Lebens, die ich mir vor dreißig Jahren noch nicht einmal hätte vorstellen können. Auch, dass ich eines Tages mit meiner Armbanduhr würde bezahlen oder Bahnfahren können. Zwar besaß ich damals schon ein bananenförmig gekrümmtes Mobiltelefon, aber die Fantasie, welche Funktionen künftige Ausgaben dieses Gerätes beinhalten könnten, blieb bei mir auf die kommunikativen beschränkt.
Übrigens finde ich es anstössig, dass in jeder Rezension von Shadow Ticket — die von WTV ausgenommen — geradezu hervorgehoben wird, dass es sich um das letzte Buch von Thomas Pynchon handeln wird. Besonders rührselig verband Andreas Platthaus in seinem Text diese von ihm allein diagnostizierte Endlichkeit der schriftstellerischen Existenz Thomas Pynchons mit seiner, der platthäusischen Leselaufbahn. Sind das lediglich Redakteure, die den Glauben an die Wirksamkeit ihrer Texte schon aufgegeben haben, oder glauben sie tatsächlich, was sie schreiben?
Mit geheimen, nur ihnen zugänglichen Informationen, beispielsweise von des Pynchons Leibarzt, worin ja ureigentlich ihr Geschäft bestünde, hat das ja nichts zu tun. Es gibt diese Informationen über ein nahes Lebensende Pynchons gar nicht. Man wirft es halt einfach an die Wand und schaut, ob die Nudel kleben bleibt.
Bei Ernst Jünger gibt es in einem der frühen Tagebücher diese Erzählung aus dem Wartezimmer seines Zahnarztes. Er sitzt dort und bekommt mit, wie dieser einer Patientin beim Verlassen seines Arbeitsraumes mitgibt, dass er die erforderliche Behandlung bei ihr nicht durchführen wird „das lohnt sich nicht mehr, dafür sind sie zu alt.“
Jünger steht daraufhin auf und züchtigt den Zahnarzt.
Anzunehmen, dass er ihn auch überlebt haben wird.