09.12.
Eine Reihe von Tagen, jeweils von einer eindrücklichen Begebenheit zum Glänzen gebracht und dadurch auch ununterbrochen geschmückt, wurde am Nachmittag, gestern, zum Abschluss gebracht. Mein Hass auf Berlin, es ist wirklich mehr als nur Enttäuschung oder Überdruss, wird davon für kurze Zeit zwar gemildert werden aber es ist halt auch Vorweihnachtszeit.
Auf einer Matinée in der Landesvertretung meiner Heimat kam es auf dem Podium zur Forderung nach einem Rückbau der Digitalisierung, um den politisch kaum noch erreichbaren Bürgern eine physische Erfahrung mit ihrem Staat aufzuzwingen. Das hätte ich, ausgerechnet an dieser Stelle, nicht erwartet. Das angebotene Mittagessen ausschlagend, verließ ich das Gebäude vor der Zeit, um nachdenken zu können.
Abends dann auf einer Buchvorstellung mit Caitlin Rosenthal, wo, glaube ich, auch Günther Jacob, anwesend war. Zumindest war mir dort auf dem Trottoir vor dem Verlagsgebäude jemand im Straßenbild aufgefallen, den ich, nachdem er für kurze Zeit aus meinem Blickfeld verschwunden war, im Inneren wiedersah. Auffällig ja allein durch einen beinahe bodenlangen Daunensteppmantel in leuchtendem Tangerine. Dem Anlass entsprechend gekleidet in ein Sweatshirt mit Aufdruck der Freien Stadtimkerei von Detroit. Der vermeintliche Günther Jakob trug sein Haar noch immer mit Wasserstoffperoxyd gebleicht wie im Hamburg der tiefsten neunziger Jahre, das ja, auch stilsistisch, mir ebenfalls zur Heimat fern meiner Heimat geworden war.
Ein Zahlenhistoriker behauptete im weiteren Verlauf jenes Abends, das Römische Reich sei vor allem auch deswegen untergegangen, da die Römer es nicht geschafft hatten, ihr Zahlensystem der Höheren Mathematik anzupassen.
Am darauffolgenen Abend, einer Einladung von Hedwig Richter zum weihnachtlichen Keksebacken aus veganen Teigen, fragte mich ein hochgewachsener Zoomer mit dieser entwaffenden Courtoisie, die dieser Generation eignet, ob ich mich als „zeitgenössischen Schriftsteller“ bezeichnen würde. Da ich noch lebend vor ihm stand, wusste ich beinahe nicht, was ich daraufhin als Antwort geben sollte.
Anderntags wurde dieses Thema mit einer traumhaften Leichtigkeit aufgenommen von meiner Urologin, die mir erzählte, dass sie ausser mir auch noch eine Schriftstellerin zu ihren Patienten zählen durfte. Diese jedoch, die andere, schriebe Horror-Romane, deren Handlung sie in Brandenburg ansiedelt. Konnte ich mir grundsätzlich vorstellen, wobei ich mich schon auch fragte, ob sie, also die Urologin, mir das womöglich bloss erzählt hatte, um mich von den ihre Rede untermalenden Handgriffen abzulenken. In ungefähr jenem Maße also, wie ich sie nach der Maschinerie hatte befragen wollen, die sich offenbar hinter einer Tür mit der Aufschrift „Harnstrahlmessung“ befand. Ein Conversation Peace womöglich. Uns hatte es in eine Fachsimpelei über Barrista-Waagen geleitet.
Hernach besuchte ich dann jedenfalls noch das Abendkolloquium von Theresa Präauer, wo es angeblich um ihre Gedanken zum Gehen gehen sollte, aber dann leider überhaupt nicht ging, weshalb ich vorzeitig abzog. Obwohl es draußen stark regnete. Aber lauwarm.