03.10.
Nationalfeiertag. Zu ähnlichen Gelegenheiten staatlich verordneter Untätigkeit hat mein Vater gerne seinen elektrischen Rasierapparat auseinandergenommen und die Einzelteile einer gründlichen Reinigung unterzogen. Und tatsächlich ging auch mein nach Ruhe, nach einem ihrer Pole forschender Blick heute in der Früh wie unbeabsichtigt hin zu diesem Ding. Auch dachte ich an die Flasche mit Brennspiritus, die unter dem Spülbecken verwahrt steht.
Doch finde ich mich, besonders deutlich am Morgen, noch immer in Wien. Diese scheinbar nichts sagenden Fassaden haben es mir angetan. Davon eine ganze Stadt… Im Inneren des Stadtpalais von Helga und Hermann standen wir noch im Foyer vor einer massiven Skulptur aus Bronze, die aus drei Oberkörper von Männern gemacht war, die einen vierten schlangenhaft im Griff hielten. Der Titel der Skulptur war in Grossbuchstaben mit in den Sockel eingeformt: Der Freie und die Süchtigen. Ein veritables Conversation piece.
So stellte sich heraus, dass dieses Atelier, eine riesenhafte Wohnung, eine Flucht von Sälen und Räumen, normal große Zimmer hatte sie keine, zuvor der Dynastie der Hersteller eines Pfefferminzbonbons gehört hatte. PEZ hießen die Bonbons. Haas die Menschen. Ich selbst besaß einen PEZ-Dosierer in Form der Ente Donald. Der hatte mir bald mehr bedeutet als die Bonbons selbst.
Und auch im Erdstⓐll hatte es sich ja so verhalten, dass von einer nichtssagenden, leicht abschüssigen Straße aus — mitnichten übrigens war das eine Gasse; da also schon die erste falsche Spur — ein Reich der Fantasie betreten werden durfte.
Neuroplastizität und Pflanzenzucht haben eines gemeinsam: Alles wird immer nur so groß, wie du es werden lassen willst. Auch ein weltgroß dimensioniertes Schneckenhaus ist denkbar. Und dennoch gelten die Gesetze von Wachstum und Form. Auch das weltgroße Schneckenhaus wird die vertraute Form des Schneckenhauses verkörpern.
So gesehen war es natürlich ein Letdown, auf dem Heimweg aus der Bar Freundschaft (auch hier jetzt schon erste Falschfährten) noch im sogenannten Brechthaus vorbeigeschaut zu haben. Die Wiederaufführung von Josefines Lesung aus dem Erdstall hier in Berlin musste doch förmlich jeglichen Zauber verlieren. Was allerdings nicht an ihr selbst, nicht an der Schriftstellerin Rieks lag, sondern an einem Moderator. Ich kam etwas zu spät und meine Brille war beschlagen aber ich glaube, es war Dirk Peitz, der vor allem beinahe hechelnd auf „Stellen“ hin gierte. Josefine Rieks freilich zu fein und schon zu sehr Wienerin, um sich diese preussischen Plumpheiten (Peitz ist ja Säbelfechter, da liegt die Trefferzone am Kopf) nicht nicht gefallen zu lassen. Trotzdem auch schade, denn man hätte sich, und wenn es bloß der Lust an der Abwechslung gedient hätte, auch über interessante Dinge unterhalten können. Beziehungsweise hätte ich gern.
Vermutlich auch unklug, das hier hin zu schreiben. Das heißt es ja jetzt immerzu: klug dies, klug das. Wobei, meiner wiederum rein auf anekdotischer Evidenz basierender Erfahrung zufolge, ein Text erst dann als klug bezeichnet wird, wenn er maximal phrasenstarr ausgehärtet wurde.