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20.06.

20.06.

Es gibt eine unsichtbare Grenze ringsum Berlin, sie verläuft, in nördlicher Richtung, ungefähr hinter Neuruppin.

Bis dorthin spürt man, von Berlin wegfahrend, noch eine Art Vakuum des Städtischen, das an einem saugt. Ganz plötzlich ist es dann fort. Man selbst fühlt sich losgelassen. Und vor einem breitet sich Brandenburg aus. Polen scheint möglich. Frankfurt an der Oder. Mecklenburg. Selbst Rügen. Man kennt hier niemand. Wird niemandem begegnen, den man von anderswo her kennt. Man ist jetzt allein.

Schon vor dieser gefühlten Linie der Demarkation sind die Aufkleber von FC Union spärlich geworden. Dafür nehmen bald die Zeichen der Anhängerschaft von Hansa Rostock zu. Zunächst als Kleber auf den vor den Fenstern vorüberfliegenden Laternenmasten und Papierkörben auf den Bahnsteigen. Dann auch als breites, eine gesamte Brücke einnehmendes Fries. Das gesamte Feld hinter dem Territorium des FC Union Berlin gehört einem einzigen Verein aus Rostock, weil es sonst keine andere Mannschaft mehr gibt hier in Brandenburg, die Fans an sich zu binden geschafft hat.

In Wittstock an der Dosse hatten sie in der Frühe schon Hühnermist ausgebracht auf die geschwungenen Beete im Friedrich-Ebert-Park. Der Geruch, ich fand ihn als Kind schon unangenehm aber Hühnermist war das bevorzugte Düngemittel meines Großvaters väterlicherseits, hing aufdringlich über den Wegen in die Stadt. Schwer zu ignorieren. Es würde noch um einiges wärmer werden.

Das Kuriose an vielen Städten in Brandenburg, die ich mit Alexander besichtigt habe, seitdem es das Deutschlandticket gibt, scheint mir doch, dass diese Städte und Städtchen allesamt in einen Zustand hinauf saniert wurden, der dem Klischee einer schwäbischen Kleinstadt nachempfunden ist. Bloß halt mit dem Unterschied, dass schwäbische Kleinstädte gar nicht so aussehen. Dass die nämlich sehr viel weniger sauber, sehr viel kaputter und hässlicher oft, viel weniger perfekt und wie aus einem Guss wirken. Nicht so heil. Und dass die schwäbischen Kleinstädte mit ihren top sanierten, niedrigen Fachwerkhäuschen, ihren verkehrsberuhigten Fußgängerfurten und den lichten, rechtwinkligen Marktplätzen stets wie ausgestorben von uns vorgefunden wurden. Gleich bei welchem Wetter. Immer gleich tot.

Es ist erstaunlich, wieviel Geld in den Formen von Bundeszuschüssen und EU-Fördermitteln in den Relaunch von Wittstatt an der Dosse gepumpt wurde. Solarbetriebene Libellen schweben über den Parks. Nachts werden sie aufglimmen. Überall wird der Rasen von den Mitarbeitern der Stadtgärtnerei gemäht. In den Rabatten blühen selten gewordene Pflanzen. Eine wilde Katze führt uns hinunter in ein Gebüsch an der Dosse. Auch hier ist es Menschenleer.

Freilich fällt auf, dass die wenigen Wittstätter, die man von weitem zu sehen bekommt, ausgerechnet Fußball-Trikot-artige Shirts tragen, deren Rücken mit «Division Ostpreussen» bedruckt ist. In einem Vorgarten ist die alte Russlandflagge, die mit dem janusköpfigen Adler, gehisst. Und die einzigen Plakate, die hier an den Laternenpfählen noch aufgehängt bleiben, sollen für eine Partei werben, die sich «Der Dritte Weg» nennt. Slogan: Politik Für Deutsche. Der Kandidat trägt einen grotesken Knebelbart.

Wie die Solarlibellen, wie der Rasen und die sauber geklinkerten Fassaden wirken diese Signale des Politischen wie Dekoration eines wittstattweiten Themenparks. Beinahe exotisch.

All dies nach einer knappen Stunde Fahrzeit von Ostberlin. An den Wannsee wäre man länger unterwegs gewesen.

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