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06.05.

06.05.

Den Tag gestern mit einem Strauß Pfingstrosen verbracht. In, wie es heißt: stummer Zweisprache (es lief Foals, «Kilode» im Remix von Carl Craig): Bekanntlich kann man einem Mann ein Foto eines Straußes schicken, und er wird es betrachten. Aber wenn man einem Mann einen veritablen Strauß schickt, hat er das ganze Leben dieses Straußes lang zu tun. Schauenderweise.

Wenn wir eine Tochter hätten, hätte ich mich für den Vornamen Peonia stark gemacht. Es gibt, außer dem Gänseblümchen vielleicht, keine verbrieftere Blüte ohne Kitsch. Tulpen sind ja eher Schnittlauchdolden von ihrem Charakter her.

Im Betrachten der Pfingsrosen über den Lauf des Tages — wie sie, jede für sich und jeweils in andere Farbtöne verblassten wie altersmüde Röcke im Ballett (man wäscht sie nie, der Tüll ist zu empfindlich, sie werden mit Wodka besprüht, um die Bakterien abzutöten), wie Tiffy auch, der Vogel in der Sesamstraße, fühlte ich mich in bester Gesellschaft. Eine beinahe psychedelische Erfahrung. Soll ja Leute geben, die auf Pilzen in einem Blumenstrauß Gottes Hand erkannt haben und zurückfuhren, vade retro!, wie von ihr am Ohrwatschel gezupft. Für mich war es der Strauß selbst, die Farbtöne und Wuchsformen im Spiel des Sonnenlichts, die als Psychedelikum wirkten.

Zwischendurch freilich Anrufe und Nachrichten. Man ist ja mittlerweile nirgendwo mehr allein.

Und ich dachte an mein afrikanisches Jahr. Ohne Telefon und alles. Als ich oft tagelang mit keinem Menschen gesprochen hatte, weil ich von niemandem dort etwas erwarten konnte. Als ich oft tagelang das Hotel nicht verließ. Solch eine Alleinsamkeit ist heute «aus technischen Gründen» unmöglich gemacht. Und ich dachte an den Text von Max in den Geisteswissenschaften über einen Übersetzer Im Mittelalter, der, wie es von heute aus scheint, mit einem Mal verstummte. Und Max stellt fest: Er hatte sich einfach so weit in die Weltfremdheit, in die Blüte der Peonia vorgetastet, dass ihm sogar das Schreiben fremd geworden war.

Gestern rief also Beda an und erzählte mir von einem Tag, an dem er deutsches Fernsehen angeschaut hatte. Und wie das für ihn war. Und ich hatte einen kl. Austausch mit Oskar über das Porträt, das Peter Körte verfasst hatte wegen «Bad Director». Morgen Premiere, ich freue mich schon!

Aber die Erinnerung an die Zeit ohne Andere holte mich am Nachmittag noch einmal ein. Da rieselten aus den dunkleren Blüten schon Petals auf den Boden, der jetzt lange Schatten hatte. Und ich fühlte etwas wie Demut, aber es war Demut in disguise. Nämlich Dankbarkeit. Dafür, dass ich das erleben durfte. Und im Folgenden fertigte ich eine längere Liste an mit anderen Besonderheiten meines Lebenslaufs, für die ich mittlerweile dankbar bin.

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