30.4.
Zum Baumblütenfest nach Werder — die Ortschaft hält im Havelland die Bedeutung eines Zentrums der Fruchtweinproduktion inne. Schon vor Jahren, da ich, damals noch am Wannsee, in der Zeitung (nicht in dieser, in einer anderen) von einer Gruppenvergewaltigung mit daran anschließender Massenprügelei auf der Streuobstwiese gelesen hatte, wollte ich dort hin. Zumindest ein Mal.
Das Wetter zeigte sich zunächst verhalten. Die schaumigen Blüten von Apfelbäumen und Kirschen vor perlgrauem Himmel sorgten im Angesicht der Tatsache, dass viele der Obstbauern mittlerweile auf Weihnachtsbaumzucht wie in Jütland umzusteuern versuchen, für einen kurios zwischen sämtlichen Jahreszeiten changierenden Effekt.
Auf einer sogenannten Blütenfahrt lernten wir so allmählich sämtliche Obstbauernhöfe des doch recht weitflächigen Areal um das Ortskerngehäuse von Werder kennen. Nicht wenige Plantagen — unser Fahrer bezeichnete einen Kirschgarten als «den größten der DDR» — müssten demnächst gerodet werden oder waren daran, zu verwildern, weil der Generationswechsel nicht klappt, beziehungsweise sich keine Erben mehr finden lassen.
Vor zwanzig Jahren hat Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung geschrieben, dass man in Zukunft in gläsernen Bussen durch Ostdeutschland fahren wird, um sich im Sitze die aussterbenden Handwerkskünste vorführen zu lassen. So ähnlich war es.
Kirschbaumblüten duften nicht. Oder kaum.
In Werder selbst simmerte die Stimmung alsbald einem Höhepunkt entgegen, den wir lieber verpasst sehen wollten. Die Wirkung der verblüffend hochprozentigen Fruchtweine, die hier an jeder Straßenecke für wenig Geld in Literflaschen feilgeboten wurden, entfaltete sich wie ein Regenschirm
für diesen sonnenlosen Tag.
Auf dem Bahnhofsvorplatz, wo, während wur auf unserer Blütenrundfahrt waren, Lazarettzelte aufgebaut worden waren, saß soeben eine Hunderschaft ab.
Der Refrain eines Liedes, das mich seither als Ohrwurm verfolgt, lautete «Ich habe eine Zwiebel auf dem Kopf, ich bin der Döner».