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30.11.

30.11.

Abends mit Sebastian im Roten Salon bei Tuvia Tenenbom. Seltsames Publikum, ich erkannte niemanden wieder.

Die Leute unterhielten sich darüber, ob Friedrich Merz sich nun wirklich auf eine Lektüre von Stalins Reden hatte besinnen können für seine Beleidigungsrede an den Bundeskanzler, oder ob er seine Variation über dem Ingenieur der Seele lediglich seinem channeling Florian Henckel von Donnersmarcks zu verdanken hatte. Herr Tenenbom selbst chillte derweil im schwarzen Hemd auf einem Sofa.

Sebastian und ich kennen und jetzt schon so lange und durch all die Jahre hindurch kommt es mir dennoch so vor, als ob nicht allzu viel Zeit vergangen ist. Wohingegen ich, wenn ich auf Berlin und insbesondere auf die Berliner Kultur, schaue, mehr und mehr das Gefühl habe, dass ich bald über hundert Jahre alt sein werde.

Relativ unvermittelt war eine Repräsentantin der Volksbühne auf die Bühne getreten und las mit flatternden Fingern von einem Zettel ab. Auf Instagram hatte sie ein Zitat von Yotam Ottolenghi gefunden, das sie vorzutragen sich entschieden hatte. Nachdem sie ebenso grußlos wieder abgetreten war, ergriff der Gast selbst das Mikrofon und bat sein Publikum um Verständnis. Und zwar war es wohl so gewesen, dass er im Vorwege jene Dame ausdrücklich gebeten hatte, das Ottolenghi-Zitieren zu unterlassen. Dabei ging es auch weniger um inhaltliche Bedenken oder um den Zitatgeber selbst oder gar um dessen Berufenheit.

«If you want to make a statement about the sadness of little children being killed and murdered i’m okay with it, provided we talk about all the children: The ones in Yemen, the ones in China, the ones in Kurdistan, the ones in Sudan et cetera et cetera et cetera… There are many trouble spots in the world, not only little tiny Israel, thank you.»

In dem Sommer vor der Pandemie waren wir, Friederike und ich, Tuvia Tenenbom auf der Sheinkin Road zufällig begegnet und im weiteren Verlauf des Nachmittages hatte er uns dort vor einem Café unter der Markise sitzend getraut. Dann kam der Winter, darauf die lang dauernde Zeit.

Und: Seltsam, je älter die Menschen werden desto weniger haben sie zu sagen. Desto eindringlicher aber bringen sie es vor.

Heute noch mehr Schnee.

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