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2.9.

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Frühes Bad im ersten Herbstlicht. Der blaue Kunststoff des Sprungbrettes, das Wasser in seinem Becken, der beinah wolkenlose Himmel: Alles leuchtet vor dem tiefen Grün ringsum.

Gehen heißt Denken, schon klar, aber beim Schwimmen kommen die Gedanken noch einmal anders in Fahrt. Zu anderen Zeiten mag man von einem mechanischen Prozess ausgegangen sein, dass die Beinarbeit die Gehirntätigkeit ankurbelt, später dann elektrische Theorien, aber am Ende werden es biochemische Impulse sein. Botenstoffe wirken auf den Austausch der Daten ein.

Läuft oder schwimmt man stets eine ähnliche Strecke, kann es bald langweilig werden. Man würde sich ja gern konzentrieren — bloß auf was? Auf das Ende der Bahn, den Startblock. Man ist doch, bitteschön, keine Lokomotive, die wie auf Schienen schwimmt. Von daher, weil man sich im Sport geistig eher unterfordert fühlt, habe ich den Eindruck, dass ich dabei verstärkt gedanklich zu unterhalten suche. Oftmals dann so, dass dieses Zerstreuungsdenken auf mich selbst wiederum überraschend wirkt. Als oder wie — back to electrix — ein Geistesblitz.

Von den blauen Farben ausgehend, dachte ich an die drei großen Lieferserviceunternehmen hier in der Stadt, und wie ihre Fahrer aus den drei großen ethnischen Gruppen sich diese Arbeitgeber unter sich aufgeteilt haben: Die Inder fahren für Wolt (blaue Rucksäcke), die Schwarzen für Gorillas (schwarze Rucksäcke) und die Fahrer aus dem Mittleren Osten arbeiten für Lieferando (orange).

Den Sektor Security in Berliner Freibädern wiederum haben die Tschetschenen für sich eingenommen. Man erkennt sie ja relativ leicht daran, dass sie ausnahmslos alle wie ihr Staatsoberhaupt frisiert sind und auch alle einen Kinnbart nach seiner Façon tragen. Vermutlich sind sie mit Ramsan Kadyrows Politik in ihrer ehemaligen Heimat Tschetschenien nicht einverstanden, sonst hätten sie wohl die Auswanderung nicht auf sich genommen, aber als Stilvorbild halten sie ihn sich noch immer vor.

Der Tschetschene, der heute früh im ersten Herbstlicht die Kontrolle meines Personalausweises durchführte, hatte helle, beinahe wasserfarbene Augen. Ich machte ihm ein Kompliment für diese schöne Augenfarbe, hatte dann aber das Gefühl, dass ihm das unangenehm war.

Als ich das Bad später verließ, verabschiedete ich mich von ihm, der dort zwischen den Zäunen an seiner Kontrollstation saß, eine halb geleerte Flasche Coca-Cola auf dem Tisch. Er schaute, auf mich wirkte es scheu, zurück.

Dann rasch wieder auf den kleinen Bildschirm in seiner Hand.

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