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17.1.

17.1.

In Anbetracht des geschmeidig ineinander und durch einander hindurch fließenden Lebens hier, wirken die wenigen Europäer:innen wie Höhlenmenschen, die unter sengendem Scheinwerferlicht durch die Kulisse trotten. Man ist hier vor allem: im Weg.

Gestern nächtliche Ausfahrt auf dem Rücksitz des Motorrollers. Selbst Straßen, die ich zuvor schon einmal entlang gegangen war, entfalteten jetzt erst ihre volle Wirkung — aus der Mitte des Verkehrsgeschehens heraus geschaut.

So stelle ich mir die Zeit vor dem Automobil vor, als die Welt noch im Sattel unterwegs war. Der Scooter als motorisiertes Pferd.

Die Piloten von Saigon essen, sie schlafen auch auf ihren treuen Gefährten. Manche haben schon gar keinen anderen Unterleib mehr. Pegasusfantasie.

Es gibt kaum Ampeln, die unendliche Fahrt zu stören; die Kreisel sind selten, soll abgebogen werden, steuert die Pilotin am Scheitelpunkt der Kreuzung direkt in den entgegendrängenden Strom der Anderen. Jetzt heißt es, auf gar keinen Fall abzubremsen. Die Geschwindigkeit auch nicht zu verringern, sondern die eigene Position und den Richtungswunsch zu behaupten — und tatsächlich tut sich dann dort, wo zuvor noch die Phalanx des Gegenverkehrs wahrgenommen wurde, genau diese Lücke auf, ein Öhr, durch das man hindurch schlüpfen kann, um sogleich wieder mit in dem nächsten Strom zu schwimmen.

Vom Einfädeln ist auch unter deutschen Fahrlehrern die Rede, aber jeder Fahrer weiß wohl zu gut, wie selten das tatsächlich gelingt.

In Saigon kommt man nach dieser Regel des unaufhaltsamen Strömens, des nahtlosen ineinander Gleitens auch als Fußgänger bestens und stets ungefährdet voran.

Wo ich in Berlin im Angesicht eines herannahenden Fahrzeuges langsamer werde, eventuell sogar zurückweiche, da es mich über den sogenannten Haufen fahren würde — schließlich befindet sie oder er sich im Recht —, gehe ich hier einfach weiter und lasse mich vom Verkehr einverleiben; umfließen. Solange ich mein Tempo beibehalte, nicht langsamer werde, bin ich für die Anderen nichts als ein Hindernis mehr auf ihrem Weg, das sie einzukalkulieren haben.

Wir kennen uns nicht.

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