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15.9.

15.9.

Abends auf der Eröffnung des schwedischen Fotomuseums Fotografiska am Oranienburger Tor. Als ich vor 30 Jahren zum ersten Mal nach Berlin gekommen war, um
mir den verhüllten Reichstag anzuschauen, bevor es davon Bilder in der Zeitung gab, war ich abends auch noch in das sogenannte Tacheles geführt worden. Damals eine Ruine. Mittlerweile schaut es, von außen betrachtet wenigstens, besser aus.

Damals hatte sich in einem hohen Saal im Inneren der Ruine jemand den Kopf angezündet. In meiner Erinnerung war der Boden aus Sand gewesen… Jedenfalls hatte diese Performance auf Jahre hinaus mein Bild vom kulturellen Leben in der neuen Hauptstadt geprägt — nicht ganz zu unrecht, übrigens — unter anderem hat dieses Trauma es auch beinahe fertig gebracht zu verhindern, dass ich jemals hierher gezogen wäre.

Die Treppenhäuser in dem fünf Stockwerke hohen Kaufhausgerippe waren damals wie heute dicht mit Parolen und Bildfetzen besprüht, bloß war ich mir gestern nicht mehr sicher, ob es sich dabei noch um die original alten Sprühgemälde handelte, oder ob ein von den neuen Betreibern engagierter Street Sprayer einen Layer mit Vintage-Motiven darüber gelegt hat. Alles in allem ergab sich der Eindruck eines landesüblichen Superdry-Megastores.

Die dort ausgestellte Kunst unterscheidet sich qualitativ doch wesentlich von jener Darbietung, deren ich bei meinem ersten Besuch in diesem Bauwerk teilhaftig wurde. Auf einer vom zahlreichen Fotografien sah ich einen nackten jungen Mann, einen Weißrussen vielleicht, der dabei fotografiert worden war, wie er eine Wassermelone auslöffelte, wie unsereins eine Kiwi oder ein Hühnerei.

In Stockholm hatte ich im vergangenen Sommer ebenfalls eine Filiale eines Fotografiska besichtigt. Im Shop des Museums in Stockholm gab es das gesamte Sortiment von Teenage Engineering, was ich damals beeindruckender gefunden hatte, als die gezeigte Kunst.

Manchmal lassen wir die Vergangenheit aufleben, bloß um uns unsere Erhabenheit über der eigenen Geschichte zu vergegenwärtigen. Wer immer nur rückblickend lebt, steht dann bald auf einer Leiter, die ihn ins Dunkle und dann nur noch Dunklere führt. Ob hinab oder hinauf ist dann beinahe schon wieder egal.

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