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11.9.

11.9.

Heute feiern die Äthiopier ihr Neujahrsfest. Dort schreibt man jetzt das Jahr 2016. Im Grunde ist es egal.

Wenn die Zukunft verworren erscheint, verhagelt, unangenehm, bietet die rückwärts gewandte Perspektive eine Zuflucht. Das Vergangene ist sicher, es bewahrt sich selbst auf. In sich. Man kann jederzeit dorthin zurück. Nicht wirklich. Aber im übertragenen Sinn. Wie man nicht wirklich jemand bezeichnet. Oder jemand wirklichen?

So fuhr und ging ich am Samstag zur Jubiläumsfeier der Berliner Straßenbahnbetriebe — 120 Jahre! In Köpenick. Dort gegründet zu einer Zeit, da man — wer? — Köpenick noch mit C schrieb. Vor dem Straßenbahndepot, einem wirklich schönen Gebäude, paradierten Männer mit Pickelhauben. Proud Boys Cöpenick, Let’s gooooo!

Das Gebäude wird heute nur noch zur Aufbewahrung restaurierter Straßenbahnen aus den vergangenen Jahrhunderten benutzt. Es ist vorbildlich restauriert. Wie teils hundertzwanzig Jahre alten Waggons und Triebwagen, die darin unter den Oberlichtern aufbewahrt stehen. Aber ich wollte ja lediglich sehen, wer dorthin geht, um sich stillgelegte Straßenbahnen in einem stillgelegten Straßenbahndepot anzuschauen.

Hunderte. Nicht alle im Greisenalter. Mur wenige hatten noch konkrete Erinnerungen an die Caiserzeit.

Erfreulicherweise, ich machte eine der geführten Touren durch die Halle mit, gab es keinerlei Bezugnahmen auf die Nahverkehrstechnisch heikle Gegenwart in Form vom Scherzen. Ab und an musste ich mich regelrecht zwingen, an mir herunter und auf meine zeitgenössischen Schuhspitzen zu schauen, um mich im Heute wieder zu finden.

Einige der prächtigsten Ausstellungsstücke hatten die DDR in der Zweckentfremdung überstanden: Die Denkmalpfleger hatten sie in Kleingärten aufgespürt, teilweise waren sie zu Hühnerställen umfunktioniert. Man mag sich vorstellen, in welchem Zustand sie waren, bevor sie in hunderten Arbeitsstunden wieder zurückversetzt werden konnten in ihren sogenannten Originalzustand.

Problematisch bleibt das Restaurieren der Farben. Viele der ursprünglich verwendeten Lackmischungen waren entweder nicht normiert oder sind ganz verloren gegangen. Umso prächtiger leuchtet im
vergangenheitsseligen Auge das einstige Orange der sechziger Jahre. Aber das ist ja generell ein Merkmal für Erinnerung.

Mike Meiré postet auf Instagram einen Sonmenaufgang aus dem Jahr 2003 und schreibt in die Bildunterschrift den Hashtag analog.

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