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11.5.

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Ich ziehe es vor, einem Bildenden Künstler zu assistieren, weil ich finde, dass die Bildenden Künstler andersartige Ideen hegen im Vergleich zu meinen. Außerdem brauche ich selbst so gut wie nie Hilfe. Bildende Künstler hingegen so gut wie immer. Ein Bildender Künstler ohne Assistent erscheint mir wie im Reich der Kochkunst der von Vinzent Klink so genannte Alleinkoch. Also einer, der vom Gemüseschneiden bis zum Anrichten alle Arbeit alleine fertig bringen muss.

Gestern war ich mit Iskender am Sowjetischen Ehrenmal an der Straße des 17. Junis. Er machte eine Arbeit vor dem dort aufgebockten Panzer, der panzergrün angemalt ist und eine weiße an der Flanke hat. Am Vortag hatten einige Russen hinter reichlich Polizeischutz einige Arm voller Nelken rings um die Panzer dekoriert. Im Gebüsch, einem zum kniehohen Quader gestutzten Buchsbaum, der hier irritierenderweise vom Zünsler verschont schien, fand ich ein weißes Blatt Papier, Din A 4, vermutlich sogar holzfrei, auf dem jemandes Hand in himmelblauem Textmarker die Worte Nie und Wieder und Krieg notiert hatte. Ich drapierte diese Arbeit zu den Nelken am Panzer. Ein Polizist kam sogleich herbei um mich zu bitten, die Arbeit wieder zu entfernen: «Ich sorge hier für Neutralität».

Vor der russischen Botschaft machte Iskender eine weitere Arbeit. Es war noch früh, die Fahne wehte hoch droben im Wind. Auf dem weitflächig mit Mannstoppgittern abgesperrten Trottoir war niemand. Ein einsamer Polizist scrollte sich durch seinen Feed.

Neben dem Bunker der Boros Collection, vor der Botschaft der Ukraine machte Iskender noch eine letzte Arbeit. Ein Polizist war derzeit Frühstück holen (Simit mit Wurst, si possibile), der andere scrollte seinen Feed — was haben die Polizisten und Galerieassistenten, die Angestellten von Reisebüros und Versicherungsagenturen eigentlich den ganzen Tag lang gemacht, bevor es das Internet gab?

Als wir gerade gehen wollten, kamen wir mit Asiaten ins Gespräch. Sie waren aus Taiwan. Und ebenfalls Künstler. Sie wollten in die Ukraine reisen. Wir fragten natürlich: Wieso!

Um dort andere Künstler zu besuchen, natürlich!

Ihr Visum für die Ukraine hatten sie von Taiwan aus beantragt. Heute, da sie es angeblich in Berlin abholen kommen sollten, war der für die Ausfertigung von Visa zuständige Kollege aber angeblich krank. Man hatte ihnen wohl bedeutet, in der kommenden Woche wiederzukommen. Möglicherweise wäre der Kollege dann wieder gesundet und könnte die versprochenen und schon im Vorweg bezahlten Visa ausstellen.

An der Tür zum ukrainischen Konsulat, die nach den Plänen von Franz Kafka aus purem Eisen hergestellt wurde und das auch ganz niedrig, befand sich lose mit der Wand verbunden ein kleiner Lautsprecher. Als wir klingelten, spratzte es und knackte, daraufhin ertönte, wie es unter Schweizern hieße, eine Stimme. Es war der Angestellte des Konsulats. Er leierte uns die selbe Geschichte herunter. Auf unsere Zwischenfragen ging er nicht ein. Als sich einige der umstehenden Frauen, die zudem alle schwanger waren, erboten, uns mit ihrem Ukrainisch auszuhelfen, tat sich an der lage auch nicht viel.

«Maybe she will be sick next week also» knackte es ein letztes Mal, dann schwieg die Türe.

Wir ließen die Taiwanesen in ihrem Unglück stehen, wo wir sie angetroffen hatten. Iskender musste früher sein Visum für die Krim immer auf der Botschaft dort beantragen. Also wird er wohl wissen, wovon er spricht.

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